Guttenbergs Plagiatsaffäre

2. März 2011

„Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen.“

Die eigentlichen Protagonisten der Guttenberg-Affäre findet man nicht im politischen Berlin und auch nicht im akademischen Betrieb. Engagierte Bürger identifizierten in Rekordzeit kopierte Textstellen, sammelten zehntausende Unterschriften gegen zu Guttenberg oder trommelten im Netz zur Solidarität mit dem angeschlagenen Minister. Sehen wir gerade eine neue Bürgermacht entstehen?

Am 17. Februar ging die Website „GuttenPlag“ online. In dem Online-Lexikon (Wiki) trugen Dutzende Aktive aus ganz D e u t s c h l a n d geklaute Zitate aus der Doktorarbeit des Verteidigungsministers zusammen. Es dauerte nur vier Tage, bis ein desaströser Zwischenbericht erschien, der mehrere Hundert Verstöße gegen das wissenschaftliche Arbeiten dokumentiert. Wenig später erklärte zu Guttenberg, seinen Doktortitel nicht mehr führen zu wollen. Crowd Sourcing nennt man neudeutsch dieses Prinzip kollaborativen Arbeitens. Selbst die SPIEGEL-Redaktion hätte dieses Tempo nicht vorgelegt.

Mit einem ganz anderen Ziel mobilisierte der Medien-Unternehmer Tobias Huch im Internet. Seine Facebook- Gruppe „Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg“ fand innerhalb von zehn Tagen über 300.000 Unterstützer. „Wir haben sichtbar gemacht, wie groß die Unterstützung in der Bevölkerung für zu Guttenberg ist“, erklärt Huch. Für ihn ist es eine Form der Bürgerbeteiligung, Kanäle zur Verfügung zu stellen, um die Meinung vieler einzelner gebündelt zu formulieren. „Wenn niemand anders für den Minister eintritt, müssen das eben Bürger tun. Für mich ist das eine prinzipielle Frage, ich selbst gehöre ja einer anderen Partei als zu Guttenberg an“, ergänzt er. Seine Aktion habe den Minister moralisch gestärkt und geholfen, so lange für sein Amt zu kämpfen.

Ebenfalls eine prinzipielle Frage war es für Hannes Klöpper und seine Mitstreiter von „Causa Guttenberg“, die Empörung über zu Guttenbergs Plagiat und die abwiegelnde Reaktion der Regierung zu formulieren. Sie stellten einen offenen Brief an Angela Merkel ins Netz, in dem sie Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem Plagiatsfall fordern. Innerhalb weniger Tage sammelten sie 20.000 Unterschriften von Doktoranden, Promovierten und anderen Unterstützern und übergaben sie der Kanzlerin. Inzwischen sind es mehr als 60.000 Unterzeichner. Für Hannes Klöpper war die Aktuelle Stunde im Bundestag, in der sich der Verteidigungsminister erklären musste, der Schlüsselmoment. „Am Reichstagsgebäude kann man den Schriftzug ‚Dem Deutschen Volke‘ lesen. Nach diesem Auftritt fühlte ich mich als denkender Bürger verhöhnt.“ Aktiv geworden ist Hannes Klöpper, weil niemand sonst für wissenschaftliche Prinzipien in die Bresche gesprungen sei: „Viele Professoren und Wissenschaftsvertreter sind erst aufgewacht, nachdem wir schon der Bundeskanzlerin 20.000 Unterschriften übergeben hatten.“

                                    Hannes Klöpper

Inzwischen mutmaßen diverse Medien, dass gerade dieser Aufstand der Bildungselite zu Guttenberg das Amt gekostet hat. Klöpper formuliert es vorsichtiger: „Ich würde sagen, er hat sich selbst gestürzt! Aber er ist durch unsere Aktion dazu gezwungen gewesen, sich mit seinem Fehlverhalten auseinanderzusetzen.“

Haben GuttenPlag, Causa Guttenberg und die vielen Facebook-Gruppen die Machtarithmetik nur durcheinandergebracht oder sogar dauerhaft neu justiert? Klöpper jedenfalls glaubt, dass wir in Sachen Bürgerengagement im Netz erst am Anfang noch viel dramatischerer Veränderungen stehen – und zitiert eine Twitter-Nachricht: „Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen.“

 

Henrik Flor

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