„Geld macht blind“ – Interview mit Sozialheld Raúl Krauthausen

2. März 2011

 

Es begann mit einer Persi- flage auf Dieter Bohlen. „Raul sucht den SuperZivi“: Unter diesem Titel lobte Raúl Krauthausen einen Wettbewerb aus, um den optimalen Zivildienstleistenden für sich zu finden. Die originelle Aktion schlug ein, die Initiatoren bekamen Lust auf mehr. Die Sozialhelden waren geboren.

 

 

Ungewöhnliche und überraschende Projekte sind ein Muss. Diese Eigenschaften stehen bei den Helden im Manifest. Seit 2004 rocken Raúl und sein knappes Dutzend Mitstreiter die Gutmenschen-Szene. Und die schmückt sich gerne mit den Sozialhelden: Deutscher Engagementpreis 2009, Deutscher Bürgerpreis 2010, Land der Ideen 2011, INCA-Award, Ashoka-Fellowship…

Ihr seid die Stars des Bürgerengagements, räumt reihenweise Auszeichnungen ab. Wie schafft Ihr es, dabei unangepasst zu bleiben?
Als „Stars“ sehen wir uns nicht. Aber wie wir unangepasst bleiben, fragen wir uns jedes Mal neu. Die Gefahr, dem Mainstream zu erliegen, ist groß. Am Anfang haben wir an Wettbewerben teilgenommen, um uns zu mit Preisen zu schmücken und durch mehr Bekanntheit und Preisgelder die Projektevoranzubringen. Manchmal kann man aber schon den Eindruck gewinnen, dass sich die Preisverleiher genauso mit Organisationen wie den Sozialheldenschmücken.

Sozialheld Sascha

…weil Ihr dem mausgrauen, sozialen Sektor den ersehnten Schuss Rock’n’Rollgebt. Also: Wie schützt Ihr Euch vor Vereinnahmung?
Bei der Verleihung des DeutschenBürgerpreises, den ja die Sparkassenverleihen, habe ich auf der Bühne verlangt, dass wir für unsere Plattform www.wheelmap.org alle Daten darüber bekommen, welche Sparkassenfilialen rollstuhlgerecht sind und welche nicht. Nach diesen Informationen hatten wir vor dem Preis auch schon gefragt, aber die Auskunft verwehrt bekommen. Einem Preisträger auf der Bühne konnten sie das natürlich nicht abschlagen. Anders ausgedrückt: Wer uns eine Plattform gibt, muss damit rechnen, dass wir ihn fordern, wenn er nur lobt und nichts tut.

Schreckt das auch mal Kooperationspartner ab?
Zumindest kann es zu Irritationen kommen. Es gab schon Unternehmen, die Wheelmap klassisch sponsern wollten, also mit Geld gegen ein Firmenlogo auf der Plattform. Da sagen wir eindeutig: Ihr könnt uns gerne Geld geben, um unsere Arbeit zu unterstützen – aber nur bedingungslos. Wir und unsere Projekte sind nicht käuflich. Man muss da sehr aufpassen und sich immer wieder selbst überprüfen. Geld macht blind. Auf der anderen Seite müssen wir auch uns selbst gegenüber kritisch bleiben.

Einerseits organisiert Ihr soziale Projekte, die konkret helfen. Andererseits geltet Ihr als kritisch. Wie wichtig ist Protest als Engagementform?
Ziviler Ungehorsam ist und bleibt wichtig. Wir planen gerade ein Projekt, das die Missstände beim ÖPNV in Sachen Barrierefreiheit offenlegt. Da muss mal jemand die Ausreden enttarnen. Genaueres möchte ich dazu noch nicht verraten. Ich persönlich kann mir durchaus vorstellen, drei Tage mit meinem Rollstuhl die Aufzüge eines Bürogebäudes zu blockieren, damit die Herrschaften mal die Treppe zur Vorstandsetage nehmen müssen. Aber Protest braucht Aufmerksamkeit. Und die braucht ein gutes Management und somit Zeit.

Sozialheldin Alexandra

Protest und Hilfe. Macht die Kombination Euch besonders glaubwürdig?
Wir möchten kritisch und zugleich offen für Kooperationen sein – auch mit großen, etablierten Partnern. Es geht nicht um Ideologien oder Feindbilder, sondern um Veränderung. Wir stellen uns auch jeder Kritik.

Wie ist das Projekt Wheelmap angelaufen?
Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden. Es geht ja darum, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam zusammentragen, welche Orte in Deutschland rollstuhlgerecht nutzbar sind und welche nicht. Jeder kann dazu Daten aus seinem Umfeld selbst eintragen. Gleichzeitig beziehen wir aber auch vorhandene Daten, beispielsweise von Stadtverwaltungen. So entsteht eine große Gemeinschaft von Menschen, die gemeinsam Deutschland auf Barrierefreiheit untersuchen.

Geht es dabei nur um eine interaktive Bestandsaufnahme?
Klares Nein! Bei den meisten OpenData- Projekten geht es um Veränderung. Wheelmap soll dazu beitragen, Orte rollstuhlgerecht zu machen, die es heute nicht sind.

Sozialheldin Lea

Wie kam Wheelmap zustande und wie ist das Projekt organisiert?
Die Idee gibt es schon seit 2 Jahren. 2009 haben wir dann das Preisgeld vom „Deutschen Engagementpreis“ in die Programmierung gesteckt. Das waren 10.000 Euro. An der stetigen Verbesserung der Plattform arbeiten Softwareentwickler ehrenamtlich. Aber wie gesagt: Wir verschließen uns nicht der Kooperation mit großen Partnern aus der Wirtschaft. Da laufen gerade interessante Gespräche. Auch Spenden nehmen wir gerne entgegen. Wenn wir das bei Erhalt unserer vollen Unabhängigkeit hinbekommen, kann Wheelmap einen großen Schub bekommen.

Gibt es weitere Pläne neben Wheelmap?
Pläne gibt es ohne Ende. Konkret arbeiten wir gerade an der Sozialhelden- Akademie. Wir haben einige Erfahrung gesammelt, wie man ohne Geld, Zeit und Ahnung viel Gutes tun und dabei Spaß haben kann. Das möchten wir weitergeben.

www.sozialhelden.de
Sozialhelden auf Facebook

www.wheelmap.org
Wheelmap auf Facebook

www.pfandtastisch-helfen.de

www.raul.de

 

Uwe Amrhein
Foto: Melanie Wehnert/ luxberlin.de

 

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