Finsterer Fake mit besten Absichten – „Initiative Sauberes Hamburg“
Jetzt ist es raus – alles nur Satire! Anfang Januar 2013 ging die Facebook-Seite „Initiative Sauberes Hamburg“ online und mit ihr ein Blog, das ganz unverhohlen gegen Obdachlose in Hamburg hetzt. Schnell gab es den ersten Gegenwind: Auf der Facebook-Seite „Stoppt die Initiative Sauberes Hamburg“ diskutieren 3.735 User und forderten ein Ende der obdachlosenfeindlichen Mobilmachung.
Heute hat sich das Unternehmen Farbflut Entertainment GmbH von Marius Follert und Niels Wildung als Urheber der Seite geoutet. Ziel sei es gewesen, mithilfe der Kampagne und den einkalkulierten kritischen Reaktionen auf die unzumutbaren Bedingungen für Obdachlose in Hamburg aufmerksam zu machen. Enter sprach mit Marius Follert über die Reaktionen auf die beißende Satire und darüber, was tatsächlich erreicht wurde.
Viele wenden sich einfach ab, wenn sie mit ihren Kinder unterwegs sind und an einem Obdachlosen vorbeilaufen.
ENTER: Die Initiative Sauberes Hamburg hat eingeschlagen: Nicht nur auf der offiziellen Homepage liest man hitzige Diskussionen, auch auf Facebook hat die Kampagne harsche Reaktionen provoziert. Warum hat Farbflut gerade jetzt die Initiative „Sauberes Hamburg“ gestartet?
Marius Follert: Die Zeit ist reif! Hamburg steht vor einem dramatischen Problem, dem man nur noch mit drastischen Worten beikommen kann. Während draußen Minusgrade herrschen und Notunterkünfte heillos mit der wachsenden Zahl Obdachloser überfordert sind, schaut die Stadt Hamburg nur zu, unternimmt nichts und stellt sich sogar hinter die Bahn, in deren Namen Obdachlose von Bahnhöfen weggescheucht werden. Obdachlose werden in unserer Gesellschaft einfach totgeschwiegen, im Rathaus wie auf der Straße, und von allein wird sich daran nichts ändern.
ENTER: Also alles eine Frage der richtigen Politik?
Follert: Ja und Nein. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass die Stadt Hamburg etwas an ihrer Politik verändern, Alternativen zu Ausgrenzung und Stigmatisierung aufzeigen muss. Das heißt aber nicht, dass nicht wir alle anfangen müssen, uns zu fragen, warum jemand auf der Straße landet. Viele wenden sich einfach ab, wenn sie mit ihren Kinder unterwegs sind und an einem Obdachlosen vorbeilaufen und sagen einfach gar nichts. Und wenn doch einmal etwas gesagt wird, bleibt die Diskussion oberflächlich. Wir brauchen aber Lösungen.
Am Ende sind wir mit „Pennerstop2013“ klar in die Offensive gegangen, mehr Satire war kaum möglich.
ENTER: Hatten Sie nicht Angst, missverstanden zu werden? Angst, dass jemand nicht die Satire hinter der Kampagne sieht, sondern befürwortet, was Sie schreiben?
Follert: Ziel der Kampagne war es, zu provozieren und gleichzeitig klarmachen, wie Obdachlose in Hamburg aus der Sicht der Politik und vieler Menschen gesehen und behandelt werden. Wir wollten aufrütteln. Dabei haben wir immer darauf geachtet, dass die Satire klar zum Tragen kommt. Die meisten haben das zu unserer Freude verstanden, und uns hat auch noch keine Nachricht erreicht von jemandem, der sich offen für ein „Sauberes Hamburg“ ausgesprochen hätte. Am Ende sind wir mit „Pennerstop2013“, dem Modell eines undurchwühlbaren Mülleimers, ja auch klar in die Offensive gegangen, mehr Satire war kaum möglich.
ENTER: Und jetzt, da alle reden? Haben Sie Ihr Ziel erreicht?
Follert: Die Aufmerksamkeit auf das Thema ist im Moment dank der Initiative sehr hoch. Die Kampagne ist in aller Munde. Das freut uns natürlich, aber bald wird das Interesse wieder verfliegen. Wir wünschen uns, dass jene, die die Inhalte auf der offiziellen Seite der Kampagne und auf Facebook kritisiert haben, aktiv werden. Wir haben bereits eine Petition auf Change.org angelegt, die jeder unterstützen kann. Auf diese Weise wollen wir die Meinungen sammeln und gebündelt an die Politik weiterreichen, um eine Verbesserung der Lage von. Obdachlosen in Hamburg und ganz Deutschland einzufordern.
Es besteht Handlungsbedarf. Die Politik darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen
ENTER: Was fordern sie konkret von der Politik?
Follert: Es gibt bereits tolle Initiativen, die sich für Obdachlose einsetzen, wie „Pfand gehört daneben“ oder auf lokaler Ebene in Hamburg beispielsweise die Übernachtungsstätte „Pik As“. Nur leider fehlt es an Geld. Hier besteht ganz klar Handlungsbedarf. Zum einen dürfen Mittel nicht einfach gekürzt werden, zum anderen darf sich der Staat nicht aus der Verantwortung ziehen und sich auf Vereine und Projekte verlassen. Außerdem finden wir es wirklich schockierend, dass und auf welche Weise Obdachlose vom Bahnhofspersonal vertrieben werden. Wir wünschen uns Menschlichkeit. Übrigens nicht nur von der Politik, sondern von allen. Wer zögert, weil er nicht weiß, ob und wie er sich engagieren kann, soll sich informieren. Wir haben über diese Kampagne selbst auch viele neue und spannende Projekte kennen gelernt, mit denen wir uns auch in Zukunft austauschen und zusammen arbeiten wollen.
Das Interview führte Katharina Stökl