Kolumne: Wir sind Revolution

17. Februar 2011

Solange es nichts kostet, drücken wir den Rebellen in Nordafrika alle Daumen. Aber was, wenn Flüchtlinge vor der Tür stehen – fragt sich Uwe Amrhein.

Unser Leben als Krisen-, Kriegs- und Revolutionsvoyeure begann 1990 mit dem ersten Irakkrieg. Wir bestaunten nächtelang Raketeneinschläge live in ARD und ZDF. Dazwischen gab es gewalt- und actionfreie Spielfilme mit Doris Day. Gut 20 Jahre später kommunizieren wir interaktiv und haben damit die nächste Stufe erklommen. Wir leiteten eifrig die Tweets der protestierenden Tunesier und Ägypter weiter, freundeten uns mit Ihnen bei Facebook an und sprachen ihnen Mut zu. Wow! Ein demokratischer Umsturz, und wir sind mittendrin statt nur dabei. Wir sind Revolution.

Gut, wir standen nicht direkt auf dem Tahrir-Platz, aber wir hielten die Fernbedienung tapfer in der Hand und den Laptop auf den Knien. Und wer einhändig tippen kann, musste nicht mal das Bier abstellen. Es revoluzzerte sich ganz angenehm in der kuschligen, virtuellen VIP-Lounge. Umso befremdlicher, dass die Tunesier jetzt als – vermeintlich teure – Flüchtlinge in Italien anlegen. Das hatten wir mit unseren neuen Facebook-Freunden aber anders verabredet. Und in Ägypten gab es schon die ersten Demos, in denen wir freundlich gebeten werden, das Land doch bitte nicht nur virtuell, sondern auch als zahlende Touristen zu besuchen. Reale Bedürfnisse, die unser reales Geld kosten? Huch! Welchen Button drücken wir denn jetzt?

Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter.

Weiter Lesen:

Kommentar abgeben