Geschafft – Rezzo Schlauch

31. März 2011

Länger als 30 Jahre hat es gedauert, bis in Baden-Württemberg aus einer bunten Sammlung von  Bürgerinitiativen eine grün geführte Regierung wurde. Wenn Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt wird, ist das ein bedeutendes politisches Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik, das grundsätzliche Fragen aufwirft.

Es sind Fragen, die sich jeder irgendwann stellen muss, der tatsächlich etwas verändern will. Wie sehr muss sich eine Bewegung anpassen, um so weit in die Mitte der Gesell-schaft vorzudringen? Was ist übrig von den Idealen von damals?  Frisst der Erfolg die guten Vorsätze?

Wir diskutieren mit Rezzo Schlauch, einem der wichtigsten Grünen in Baden-Württemberg, der seit Jahrzehnten auf die Regierungsbeteiligung hingearbeitet hat und um klare Worte noch nie verlegen war.

Herr Schlauch, „mit dem Begriff Juniorpartner bin ich nicht einverstanden“, haben Sie 1984 in einem SPIEGEL-Interview gesagt, damals waren Sie Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag. Das klang noch größenwahnsinnig, jetzt ist Grün-Rot Realität. Haben Sie das damals tatsächlich für möglich gehalten?

Sonst hätte ich es nicht so gesagt. Natürlich war ich immer etwas expansiv in meinen Äußerungen. Mir war aber vor dem Hintergrund der Wahlerfolge im Land damals schon klar, dass die Grünen in Baden-Württemberg einen fruchtbaren Boden vorfinden und dass sie, wenn sie ihn richtig beackern, die Chance haben, das Erbe der Liberalen anzutreten und auch die SPD anzugreifen, die hier traditionell nie stark war.

Sie haben sich also damals schon vorstellen können, selbst einmal Ministerpräsident zu werden?

Das wäre zu hoch gegriffen. 1984 bin ich in Stuttgart zum ersten Mal angetreten und hatte für damalige Verhältnisse schon sehr gute Ergebnisse. Das hat sich im Laufe der Jahre immer gesteigert. Der Höhepunkt war 1996 bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart. Da war ich nahe dran an einem Spitzenwahlamt.

Das scheiterte daran, dass die SPD nicht bereit war, ihren Kandidaten zu Ihren Gunsten zurückzuziehen. Ist der Wahlsieg vom Sonntag für Sie ein Fall von Rache ist Blutwurst?

Nee, das ist zu lange her. Die SPD hat dafür, insbesondere in Stuttgart, über lange Jahre sehr geblutet. Und dieser Fehler schwingt bis heute mit. Es ist ein Fehler, den die SPD bei nachfolgenden Wahlen in einer unverständlichen Art und Weise immer wieder wiederholt hat. Für mich ist diese Geschichte aber längst abgeschlossen.

Foto: Imago

Nach 30 Jahren bekommt Baden-Württemberg nun tatsächlich einen grünen Ministerpräsidenten. Sind Sie zu früh aus der Politik ausgestiegen?

Überhaupt nicht. Ich spüre tiefe Genugtuung und große Freude über diesen Wahlerfolg und natürlich auch ein bisschen Stolz darauf, dass ich jemand war, der zusammen mit anderen – und da war Kretschmann auch immer dabei – Fundamente für diesen Wahlsieg gelegt hat. Ich war immer ein Vertreter derjenigen, die Brücken in das sogenannte bürgerliche Lager geschlagen haben – übrigens ein politischer Kampfbegriff der Konservativen, insbesondere der Liberalen, den ich immer für dämlich und lächerlich gehalten habe.

Weil Sie sich selbst als bürgerlich bezeichnen würden?

Auch das, aber vor allem, weil die Grünen von Anfang an eine bürgerliche Herkunft hatten und bürgerlich sozialisiert waren. Für mich als Grünen ist dieser Begriff nicht negativ besetzt, weil das aufgeklärte Bürgertum, wie zum Beispiel 1848, auch immer  Träger von grundlegenden Veränderungen war. Insofern habe ich immer versucht, den Begriff des Bürgertums nie den anderen zu überlassen.

Dennoch waren die Grünen, als sie 1980 zum ersten Mal in den Landtag einzogen, eine andere Partei als heute. Wie würden Sie diese Veränderungen beschreiben?

Na ja – waren sie eine andere Partei? 1980 war der jetzige designierte Ministerpräsident schließlich schon dabei. Die baden-württembergischen Grünen hatten immer schon ein eigenes Profil im Vergleich zu den Nord-West-Grünen oder den norddeutschen Grünen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir uns in den nordisch dominierten Bundesparteitagen der 80er Jahre zwar nicht als Fremdkörper, aber als Außenseiter vorkamen. Eine Veränderung: Am Anfang gab es diesen Spruch von Standbein und Spielbein: Das Standbein waren die Bürgerinitiativen, die außerparlamentarischen Bewegungen, das Spielbein das Parlament. Das hat sich schnell grundlegend gewandelt. Das Parlament haben wir nicht mehr nur als Bühne betrachtet, um die Forderungen der Bürgerinitiativen dort zu präsentieren und zu diskutieren, sondern wir haben das Parlament und den Parlamentarismus ernst genommen und die Regeln der parlamentarischen Demokratie insgesamt ausgefüllt.

Aber 1980 sprachen die Grünen noch davon, die „Kapitalakkumulation“ sei die Ursache des „Wachstumsirrglaubens“, die „Befreiung vom Zwang zur Lohnarbeit“ sei segensreich, die Schule „entfremde Natur und Arbeit“ und Kinder sollten für drei Monate im Jahr auf den Bauernhof oder in die Fabrik.

Natürlich waren wir in der Wortwahl noch sehr nah an der etwas kruden Begrifflichkeit der 68er.  Aber den Kern dieser Forderungen finde ich nicht abseitig. Die Grünen waren immer auch eine Avantgarde – und zwar eine Avantgarde des Bürgertums. Sie waren die Vertreter der Citoyens.

In der Regierung sind Sie nicht mehr Avantgarde, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie haben Sie sich in diesen 30 Jahren persönlich verändert?

Damals war man ungestümer. Damals war man natürlich von einem unbändigen Veränderungswillen gegenüber einem viel starreren System geprägt.Und ich glaube, das System der formierten Gesellschaft, das wir angetroffen haben, hat sich viel mehr in Richtung einer pluralen Gesellschaft verändert als die Akteure selbst. Natürlich war der revolutionäre Gestus, auch die radikale Rhetorik, sehr viel stärker ausgeprägt. Aber eine große Veränderung in den Kernansichten sehe ich eigentlich nicht. Das kann aber daher rühren, dass ich, bevor ich in die Politik ging, schon einen bürgerlichen Beruf und einen bürgerlichen Status hatte…

… als Rechtsanwalt …

… und in diesem Beruf mit knallharten Realitäten konfrontiert war. Die wollte ich zum Besseren ändern, aber deshalb hatte ich immer einen realistischen Blick auf den Gegner. Natürlich war man damals einem anderen Erfahrungshorizont nahe: Man war nicht sehr nahe an der Wirtschaft. Man hat wenig Kontakt mit Unternehmen gehabt. Das war fremdes oder unbekanntes Terrain. Es hat sich an einem wichtigen Punkt dann etwas geändert: In dem Moment, in dem man in die Regierungsverantwortung eintritt – das habe ich zuerst als Fraktionsvorsitzender einer Regierungsfraktion und später als parlamentarischer Staatssekretär der rot-grünen Bundesregierung getan –, erfordert das Veränderungen im Stil und in der Kommunikation nach außen. Das war für mich ungewohnt. Das konnte ich innerlich schwer akzeptieren. Ich konnte nicht mehr so frei von der Leber reden, sondern musste eine bestimmte Disziplin einhalten, die das Regieren mit sich bringt.

Die ersten Monate der rot-grünen Koalition in Bonn waren turbulent – Kosovo-Krieg, Lafontaine-Rücktritt, Sie mittendrin. Könnte Baden-Württemberg etwas Ähnliches bevorstehen?

Es ist immer schwer, wenn sich die Rollen verändern. Die Opposition tritt, damit sie überhaupt gehört wird, von einem großen Gestus begleitet auf. In der Regierung muss man sich zurücknehmen, disziplinierter sein, zurückhaltender agieren. Da wird es zu Anfang Reibungsverluste geben. Wenn ich mir das Personal angucke, muss ich aber sagen: Das sind alles sehr erfahrene Kommunalpolitiker, die Politik von der Pike auf gelernt haben. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass dieser Rollenwechsel nicht so schwierig ist, wie er für uns 1998 war.

Die großen Knackpunkte sind nun Stuttgart 21 und EnBW. Sie waren bis vor Kurzem Berater von EnBW für erneuerbare Energien. Nun gehört der Konzern dem Land und Kretschmann hat bereits angekündigt, ihn umzubauen. Wie realistisch ist es, aus einem Atom-Konzern eine Ökoenergie-Firma zu machen?

Das ist ein ganz harter Brocken und ein dickes Ei, das der Vorgänger der neuen Regierung ins Nest gelegt hat. Wenn Sie sich als Anteilseigner eines solchen Konzerns, der zu 50 Prozent von AKW abhängig ist, sofort radikal von Atomenergie verabschieden – was das Ziel ist und das Ziel sein muss –, dann vernichten sie Kapital, um es mal ökonomisch hart zu sagen. Deshalb wird es eine Herkules-Aufgabe sein, so schnell wie möglich das Potenzial der Regenerativen auszubauen und aufzubauen, um einen Gegenwert zu schaffen.

Und es wird Geld kosten.

Natürlich wird es Geld kosten, das man nicht ohne Weiteres dem Steuerzahler aufbürden darf. Ich traue den handelnden Personen gerade im Energie-Bereich viel zu. Selbst wenn sich erstmal eine Wand auftürmt, glaube ich, sie werden diesen Parforce-Ritt erfolgreich vollenden.

Wäre das nicht eine Aufgabe, die auf Sie zugeschnitten ist? Bei EnBW gäbe es zum Beispiel bald ein paar Aufsichtsratsposten zu besetzen.

Ich habe mich aus dieser Diskussion herausgehalten und habe gerne ein paar Wahlkampftermine für ein paar Freunde gemacht. Aber ich habe keinen Ehrgeiz, in irgendeiner Weise eingebunden zu werden.

Und wenn man Sie fragen würde?

No comment.

Die Fragen stellte Sebastian Esser.

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