Editorial – Besser billig bleiben

7. November 2013

Keine Frage: So konsequent geldlos glücklich wie es der Titelheld dieser Ausgabe vorlebt, lässt sich nicht jede Form von Bürgerengagement gestalten. Daraus lernen lässt sich allerdings auf jeden Fall. Die wichtige Botschaft lautet: Die allenthalben und zu recht geforderte Professionalität ist nicht automatisch gleichzusetzen mit Hauptamtlichkeit.

Allzu oft folgen zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen und deren Förderer einem eingeübten Ritual: Wir richten zuerst ein Büro ein, schaffen mit mühsam akquirierten Fördergeldern eine hauptamtliche Projektleitung… und die wird es dann schon richten. Wer stur diesem Muster folgt, beraubt sich einiger Chancen und begibt sich bisweilen in ernste Gefahr. Aus vier Gründen.

Erstens: Wer einen Apparat aufbaut, will ihn zumeist auch aufrecht erhalten. Das lenkt vom Wesentlichen ab. Projekte werden nicht mehr nur nach ihrer Sinnhaftigkeit in Angriff genommen, sondern dann, wenn sich darüber ein Teil der Infrastruktur finanzieren lässt. Jede finanzierte Struktur braucht Magagement – und sei es nur für die Büroorganisation oder die Personalbuchhaltung. Hinzu kommen Berichte an Förderer und das Schreiben und Verhandeln von Anträgen. Diese Zeit geht der inhaltlichen Arbeit verloren. Und, was noch schlimmer ist, die Zwänge gehen auf Kosten der Kreativität und der Freude. Wer sich um das eigene Überleben kümmern muss, hat keinen freien Blick mehr für Vision und Mission.

Zweitens: Wer sagt eigentlich, dass eine eigene hauptamtliche Mannschaft leistungsfähiger ist? Sie ist zumeist prekär finanziert, arbeitet unterbesetzt und unterbezahlt am Limit und muss als eierlegende Wollmilchsau alles machen – oft mehr schlecht als recht. Wenn es stattdessen gelingt, kleinere Arbeitspakete auf ein rein ehrenamtliches Team aus nach Bedarf eingesetzten Spezialisten zu verteilen, kann das nicht nur kostensparend und befreiend wirken, sondern auch die Qualität verbessern. Ehrenamtlichkeit kann professioneller sein als Hauptamtlichkeit.

Drittens: Geld macht abhängig – auch und gerade im bürgerschaftlichen Engagement. Finanziers fordern Rechenschaft und Einfluss. Kleine Fehler werden zum großen Problem, was wiederum die Experimentierfreude hemmt. Querdenker werden stromlinenförmig.

Viertens: Professionalität mit Geldfluss und Hauptamtlichkeit zu verwechseln, verleitet dazu, intelligentere Kooperationsformen zu ignorieren. Genannt seien hier Open Source-Entwicklungen, Pro Bono-Leistungen aus der Wirtschaft, Beteiligungsmöglichkeiten für Freiwillige an Konzeptions- und Leitungsaufgaben, Crowdsourcing, Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, die am gleichen Ziel oder mit ähnlichen Methoden arbeiten, das Teilen von Ressourcen…

Erfolgreich und zukunftsfest werden schon bald nur noch Organisationen arbeiten, die in der Lage sind, aus diesen Möglichkeiten einer neuen Bürgergesellschaft den für sie passenden Strauß zusammen zu binden. Es spricht also einiges dafür, auf dem Weg zur Weltrettung klein zu starten und schlank zu bleiben. Der geniale Sozialhelden-Vordenker Raul Krauthausen hat es mir mal mit folgenden Worten erklärt: „Bevor ich irgendwas anschaffe oder meine Organisation vergrößere, will ich erst mal das Problem haben, das diese Maßnahme völlig unausweichlich macht.“

Diesem Gedanken widmen wir die aktuelle Ausgabe. Lässt sich auch mit wenig viel bewegen? Ich freue mich auf Ihre Antwort.

Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter

uwe amrhein

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