Titelstory: Nicht in meinem Vorgarten

1. Mai 2013

„Nimby“ steht für „Not in my Back Yard“ – nicht in meinem Hinterhof. Es ist eine neue Selbstbezogenheit, die sich gern als Engagement tarnt, tatsächlich aber das genaue Gegenteil von selbstloser Freizeitbeschäftigung ist. Der „Nimby“ hat nichts gegen Veränderung, es sei denn vor der eigenen Tür. Und genau das ist das Problem.

Nimbys sind keine dogmatischen Wutbürger, sie sind für den Bau von Kindergärten, für saubere Energie und nehmen gerne mal das Flugzeug. Mit einer ganz entscheidenden Einschränkung: Kinder sollen doch woanders lärmen, Windräder dürfen die freie Sicht nicht behindern und die Flugroute soll bitte auch nicht übers eigene Haus führen.

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Die Nimbys haben längst Deutschland erreicht. Schlechte Zeiten für Innovationsprojekte wie die Energiewende. Zwar unterstützt der Nimby den Ausstieg aus der Atomkraft, er weiß, dass es ohne Windräder, Pumpspeicherwerke und neue Stromtrassen nicht geht. Doch was, wenn sich künftig in der eigenen Gemeinde Rotorenblätter drehen sollen oder Strommasten aufgestellt werden? Dann entdeckt der berufene Nimby allerlei gute Gründe, warum gerade vor seinem Haus unmöglich ein Opfer für die Energiewende gebracht werden kann. Windräder können im Winter Eis abwerfen und Menschen verletzen, ganz zu schweigen vom Schattenwurf der Rotorblätter. Stromtrassen entwickeln Magnetfelder und das auslaufende Wasserbecken eines Pumpspeicherkraftwerks kann schon mal einen ganzen Landstrich verwüsten. Kein Argument scheint absurd genug, um nicht mit überzeugendem Pathos und dem ganzen Arsenal von Bürgerbegehren, Petitionen, Protestmärschen und zahllosen Gutachten vorgebracht zu werden.

Dass anderenorts bereits Millionen Menschen in der Nähe von Windrädern überleben, stört da kaum. Dabei ist die tatsächliche Motivation der Unbeirrbaren häufig genug ziemlich schnöder Natur: die unverstellte Sicht ins Grüne oder Abstriche beim Wert von Haus und Grundstück.

Was passiert, wenn der Aktionismus von Bürgern nicht mehr Idealismus und Gemeinsinn entspringt, sondern getrieben wird von Besitzstandswahrung und eigenen Interessen? Wenn nicht mehr Überzeugung und Haltung zum gemeinsamen Handeln motivieren, sondern Angst vor Veränderung und finanziellen Einbußen?

Ist das noch Engagement im eigentlichen Sinne? Bürgerschaftliches Engagement zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es nicht auf den finanziellen Vorteil schielt, dass nicht das eigene Fortkommen zum Handeln anstiftet. Engagement bedeutet, etwas für die Gesellschaft zu leisten. Bürger packen mit an, um die Lebensverhältnisse anderer zu verbessern, sie geben etwas und nehmen nicht.

Die Energiewende ist nichts anderes als ein Lackmustest, ob ein großes Gemeinschaftsprojekt heute noch von allen mitgetragen wird. Kann ein solches Vorhaben gelingen, wenn auch den Komfortzonen der Republik etwas Solidarität abverlangt wird – gegenüber den vielen Landstrichen in Schleswig-Holstein oder Brandenburg, die schon einen enormen Beitrag leisten und Teile der Landschaft verspargelt haben? Egal, welche Argumente vorgeschoben werden: Das Denken des Nimbys endet am Jägerzaun und lässt alles vermissen, was einmal als Vision von bürgerschaftlicher Partizipation existierte: Es fehlen Horizont und Offenheit von lokalen Agenda 21-Gruppen, das Engagement für soziale Gerechtigkeit vieler Bürgerstiftungen oder die Ehrenamtsstärkung der Freiwilligenagenturen.

Dabei braucht es solidarisches Engagement,um die echten Probleme anzugehen, von denen es mehr als genug gibt: Abwanderung, Überalterung,Vereinsamung. Es gibt genug zu tun!

Enter hat mit zwei Fachleuten über das Phänomen Nimby gesprochen, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Gerhard Matzig, Kulturreporter der Süddeutschen Zeitung, hat die Absurditäten des Nimbys jahrelang beobachtet und erklärt, warum dessen Protest egoistisch, innovationsfeindlich und unsolidarisch ist. Protestforscher Dieter Rucht ist ganz unterschiedlichen Gründen für Protest gegen die Energiewende begegnet und meint: Dieser leiste einen wertvollen Beitrag.

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Ein Kommentar

  1. Stefan Zwick
    Stefan Zwick
    4. Mai 2013 zu 17:57
    | Antworten

    Ich kann dem Artikel im wesentlichen zustimmen, will aber vor diesem Hintergrund auch nicht die Politikverdrossenheit vernachlässigen. Zwei Positionen welche untrennbar verbunden sind. In Rheinland-Pfalz treibt dies rot-grüne Blüten. Ein Ausbau der B10 zwischen Pirmasens und Landau wird mit Hilfe der Landesregierung blockiert und gleichzeitig will diese pseudogrüne Regierung Windräder im Biosphärenreservat Pfälzer Wald aufstellen. Schwere Zeiten für jeden nicht Nimby und schwere Zeiten für jeden der sich seit vielen Jahren in freiwilligen Aufgaben wie der Freiwilligen Feuerwehr einbringt

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