„Groß denken“

11. Mai 2011

Die Initiative Bürgerstiftungen des Bundesverbands Deutscher Stiftungen versteht sich als Motor der Bürgerstiftungen in Deutschland. Sie berät Gründungsinitiativen und Bürgerstiftungen, veranstaltet Fortbildungen und verleiht ein eigenes Gütesiegel. Enter sprach mit Dr. Burkhard Küstermann, Leiter der Initiative Bürgerstiftungen, über gefährliche Einflussnahme von Politik und Verwaltung, den Spagat zwischen Projektarbeit und Vermögensbildung und falsch verstandene Bescheidenheit.

 

Was motiviert Menschen dazu, eine Bürgerstiftung auf die Beine zu stellen?
Das kann die Dankbarkeit sein für ein erfolgreiches Berufsleben, die Verantwortung für das Gemeinwesen, das kann aber auch der Ärger über die städtische Politik sein und der Wunsch, selbst vor Ort etwas zu bewegen.

Die Bürgerstiftung ist eine von vielen Formen, um Engagement vor Ort zu organisieren. Wann ist es das Mittel der Wahl?
Man sollte zu Beginn gut überlegen, für welche Form bürgerschaftlichen Engagements man sich entscheidet und wo man den Schwerpunkt seiner Arbeit sieht. Wenn man viele Menschen projektweise aktiv einbinden will, kann im Einzelfall auch der Verein eine geeignete Rechtsform sein. Die Stiftung zeichnet sich dadurch aus, dass sie langfristig Kapital aufbaut. Wenn man dazu aufruft, sich nachhaltig für die Stadt oder die Kommune zu engagieren, kann das sehr attraktiv für potenzielle Geldgeber sein.

Die große Herausforderung ist der Aufbau des Stiftungsvermögens, das die eigentliche Projektarbeit finanziert. Wo hakt es da am Häufigsten?
Wichtig bei einem langfristigen Projekt wie der Bürgerstiftung ist es vor allem, einen langen Atem zu haben. Wie bindet man Stifter in die Arbeit ein? Wie wird man interessant für Zustifter? Man muss lernen, Danke zu sagen, immer wieder auf Stifter zugehen – das alles erfordert Ausdauer. Und man muss begeistert sein – zeigen, dass man seine Arbeit gut macht. Transparenz ist ganz wichtig.

Stichwort Transparenz: Gerade im kommunalen Bereich drängen immer auch lokale Schwergewichte – vom Bürgermeister bis zum Sparkassenchef – in die Stiftungsgremien. Fehlt da einigen Bürgerstiftungen das Problembewusstsein?
Es ist unglaublich wichtig, dass Bürgerstiftungen unabhängig bleiben. Unabhängigkeit ist eines der „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“, die von den Bürgerstiftungen selbst definiert wurden und die die Grundlage der Arbeit der Initiative Bürgerstiftungen bilden. Das bedeutet Unabhängigkeit von der Gemeinde, von Banken, von Kirchen. Je unabhängiger eine Bürgerstiftung arbeitet und je mehr Bürgerinnen und Bürger sie einbindet, desto erfolgreicher ist sie. Ein Bürgermeister sagte mir einmal: ‚Ich stoße gerne eine Bürgerstiftung an, aber wenn ich dort einen Posten übernehmen würde, hätten die Bürger den Eindruck, ich werbe hier zusätzliche Steuermittel über den Umweg der Stiftung ein. Dann würde doch niemand Geld geben.‘ Ein anderes Beispiel: Der Vertreter eines Kreditinstituts erzählte von der Bürgerstiftung, die von seiner Bank auf den Weg gebracht wurde und seit zehn Jahren nicht in Schwung kommt. Seine Bank zog sich dann ganz aus der Stiftung zurück, damit die Bürger endlich selbst die Verantwortung für ihre Stiftung übernehmen konnten. Jetzt funktioniert es.

Hat das Fehlen solcher Standards die Initiative Bürgerstiftungen auf die Idee gebracht, ein Gütesiegel für Bürgerstiftungen einzuführen?
Ausgangspunkt für das Gütesiegel war, dass der Begriff „Bürgerstiftung“ gesetzlich nicht definiert ist. Als Bundesverband Deutschen Stiftungen haben wir es als unsere Aufgabe angesehen, die Bewegung der Bürgerstiftungen nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu prägen. Die Bürgerstiftung in Ratzeburg sollte das gleiche Grundverständnis wie die in München oder Zittau haben. Es geht darum zu zeigen: „Wir sind eine starke Bürgerstiftungsbewegung.“ Es gibt auch Bürgerstiftungen, die diesen Kriterien nicht entsprechen. D. h. nicht, dass diese dann schlechte Arbeit machen. Aber es zeigt, dass wir nicht das gleiche Verständnis von dem Begriff „Bürgerstiftung“ haben. Aus unserer Sicht handelt es sich dann eher um eine „Gemeinschaftsstiftung“.

Daraus ergeben sich auch die unterschiedlichen Zahlen von Bürgerstiftungen, die von der Initiative Bürgerstiftungen und von Aktive Bürgerschaft veröffentlicht werden?
Ja, das hängt mit der unterschiedlichen Auslegung zusammen, wie diese Kriterien anzuwenden sind. Es zeigt aber auch, dass der Standard der „10 Merkmale“ unbestritten ist.

Bürgerstiftungen müssen parallel konkrete Projektarbeit leisten und sich um die Verbreiterung des Stiftungsvermögens kümmern. Wie gelingt das?
Das ist tatsächlich eine ganz große Herausforderung. Man darf sich zu Anfang nicht in der Projektarbeit verzetteln. Langfristig will man genau diese ja aus einem Vermögen bestreiten, das es noch weiter aufzubauen gilt. Es ist ein Spagat, für dessen Gelingen es kein Patentrezept gibt.

Die Bürgerstiftung wird immer als Erfolgsmodell beschrieben – gibt es auch welche, die gescheitert sind? Wenn ja, woran?
Ein wirkliches Scheitern einer Bürgerstiftung gibt es bislang nicht. Aber es gibt Herausforderungen: Wenn sich beispielsweise Stiftungen zu eng an eine Institution binden und die eigene Unabhängigkeit gefährden, dann kann es schwierig werden.

Ein ganz anderes Problem ergibt sich, wenn Stiftungen ein zu kleines räumliches Gebiet abdecken. Dann klappt es vielleicht nicht, das nötige Kapital einzuwerben. Wir empfehlen deshalb ein Einzugsgebiet mit mindestens 100.000 Einwohnern. Dann ist in der Regel ausreichend Potenzial da, um erfolgreich zu arbeiten. Die Überlegung muss sein: Wo wollen wir in zehn Jahren stehen? Gibt der regionale Zuschnitt das her? ‚Denkt möglichst groß!‘, ist daher unsere Empfehlung an alle Bürgerstifter.

www.die-deutschen-buergerstiftungen.de

Die Fragen stellte Henrik Flor.

 

 

Weiter Lesen:

Kommentar abgeben