Kolumne: Im falschen Film
So, das war also die Sternstunde am ersten Advent. Die Sternstunde der Demokratie schlechthin, wenn wir den meisten Kommentatoren glauben. Spiegel Online-Autorin Simone Kaiser verströmte ein Pathos als sei sie gerade Augenzeugin der ersten Mondlandung gewesen. „Gewonnen haben nicht nur die Befürworter. Denn die Baden-Württemberger haben sich das Recht erkämpft zu entscheiden… haben in diesem Jahr gelernt, dass es sich in einer Demokratie lohnt, sich zu engagieren.“ Andere Schreiber klangen ähnlich.
Erschreckend, wie oberflächlich Journalisten nach wie vor mit dem Thema Bürgerbeteiligung umgehen. Eine Volksabstimmung, die mit jahrzehntelanger Verspätung abfragt, was die Politik längst beschlossen hat, kann keine Sternstunde sein. Zwar weist mancher Journalist darauf hin, dass Volksentscheide demnächst früher stattzufinden hätten. Doch auch das trifft nicht den Kern.
Erstens: Niemand hat ein Recht erkämpft. Den Volksentscheid in seiner heutigen Form gibt es in Baden-Württemberg seit 1974. Schon den Zusammenschluss von Baden und Württemberg haben die Bürger 1952 per Volksentscheid beschlossen.
Zweitens: Verhindern ist keine Bürgerbeteiligung. Die Sternstunde erleben wir, wenn zu Beginn eines Planungsprozesses Menschen mit attraktiven Formaten zum Mitarbeiten eingeladen werden. Wenn sie ihre Kompetenzen einbringen, wenn gelittene Wähler zu begehrten Experten werden. Beispiele gibt es. Sie führen halt nicht zum Volksaufstand. Eher zum Gegenteil. Und damit sind sie für schwülstige Zeilen ungeeignet. Die wahren Sternstunden bleiben unentdeckt.
Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter.