Streetfootballworld – Interview mit Gründer Jürgen Griesbeck
streetfootballworld ist vieles: Netzwerk, Empowerment-Agentur, Sozialunternehmen. streetfootballworld unterstützt kleine Fußball-Organisationen auf der ganzen Welt, hilft ihnen, effizienter zu arbeiten, schneller zu wachsen, mehr Menschen zu erreichen und auf diese Weise für soziale Veränderung zu sorgen. Finanziert wird die Arbeitdes Sozialunternehmens unter anderem von Regierungen, Wirtschaftsunternehmen, Stiftungen, Sozialinvestoren, der FIFA und der UEFA. Enter sprach mit dem Gründer und Vorstand Jürgen Griesbeck über sein besonderes Geschäftsmodell und die Vision, die dahinter steht.
Warum setzt Ihr Sozialunternehmen gerade auf Fußball?
Ich hatte zuerst nicht mehr als jederandere mit Fußball zu tun. Ich lebte in Kolumbien, als ein Freund der Familieim weitesten Sinne wegen des Fußballs ermordet wurde. Ich habe dann in den folgenden Jahren ein Modell entwickelt, wie man mittelsFußball gewaltbereite Jugendliche erreichen kann. Ich habe gemerkt,dass es eine ganze Menge Organisationen gibt, die den Fußball nutzten,um gesellschaftliche Probleme effizienter zu lösen, die aber nicht miteinander in Kontakt waren, nicht von ihren jeweiligen Erfahrungen lernten und das Rad häufig neu erfanden. Die Idee war, diese zu vernetzen und systematischer zu unterstützen – damit war streetfootballworld geboren. Darüber hinaus hat der Fußball einfach ein außergewöhnliches Potenzial, um soziale Veränderung zu erreichen:Neben der kritischen Masse ist es auch das Kapital, das der Fußball bewegt. Fußball ist eine globale Sprache, die jeder versteht: der Vorstandsvorsitzende genauso wie der Slumbewohner.Die Leidenschaft für den Sportbringt vollkommen unterschiedliche Lebenswelten zusammen.
Im streetfootballworld-Netzwerk sind 84 Fußball-Organisationen versammelt. Worin besteht Ihre Arbeit als Manager des Netzwerkes?
Alle diese Organisationen haben sich aus eigener Kraft mit eigener Motivation gegründet, um soziale Verände-rungen in ihrem Umfeld herbeizuführen.Und alle haben irgendwann den Fußball als Beschleuniger für das Erreichen dieses Ziels entdeckt. Wir selbst rufen also keine Projekte ins Leben, sondern wir identifizieren bestehende Organisationen, in denen wir das Potenzial sehen, zu Referenzorganisationen und Netzwerkknoten in ihren Regionen zu werden. Es wird genau geprüft, ob die Netzwerk-Mitgliedschaft für beide Seiten Sinn macht. Für uns macht sie Sinn, wenn die Organisation bereit ist zu wachsen und im Netzwerk zu arbeiten, also ihr Wissen zu teilen und auch Verantwortung über ihre eigene Organisation hinaus zu übernehmen. Die Organisationen selbst haben davon den Vorteil, global mit einer Stimme sprechen zukönnen, global konsistent zu kommunizierenund an Partnerschaften teilzuhaben, die an einer weltweiten Reichweite interessiert sind.
Und die konkrete Vernetzung untereinander? Worüber tauscht sich daskambodschanische mit dem kolumbianischenTeam aus? Vernetzung findet zum einen regional statt, das hat ganz praktische, aber auch kulturelle Gründe. Dann aber gibtes auch einen Austausch, der sich über das Arbeiten in demselben Themenfeld ergibt. Wenn das Thema beispielsweise die Aufklärung bezüglich der Gefahrenvon Landminen ist, dann kann es natürlich auch zwischen Organisationenaus Kambodscha und Kolumbieneinen sehr fruchtbaren Austausch geben. Im Fall von HIV/Aids oderGewaltprävention kommen dann wiederum andere Koalitionen zum Tragen.
Das Spannende: Sie machen das Ganzenicht als Non-Profit, sondern explizit als soziales Profit. Wie kommen Geldgeber oder Kunden ins Spiel?
Wir glauben, dass sich ein Sozialunternehmennur dann langfristig entwickeln kann, wenn es neben diversen externen Einnahmequellen auch eigene Einnahmen generiert, die dann natürlichzu 100 Prozent in die gemeinnützigen Aktivitäten fließen. Schaut mansich zudem die steuerrechtliche Lagein Deutschland an, so kann man gar nicht anders, als sich so zu konstituieren, wenn man Beratungsleistungen für Unternehmen wie Sony oder Adidas erbringen möchte. Was wir hier machen, wird als Dienstleistung interpretiert und entsprechend besteuert. Aber wir haben uns auch ganz bewusst als Sozialunternehmen gegründet und wollen zeigen, dass auch im Gemeinwohlbereich effizient und vor allem mit Fokus auf die tatsächlichen Wirkung gearbeitet wird.
Wie sieht die große Vision dahinter aus?
Im Fußballsektor zirkuliert eine ganze Menge Kapital, das aber kaum sozialverantwortlich genutzt wird. Wir sind mit Klubs und Regionalverbänden im Gespräch, mit Sportrechteunternehmen, Sponsoren, Medien, um zu überlegen,wie ein Teil dieses Kapitals zurück fließen kann in Richtung sozialer Entwicklung. Das große Ziel ist am Ende, dass das Kapital im Fußball systematisch einen angemessenen Beitrag zu sozialer Veränderung leistet, das dort eingesetzt wird, wo es am meisten bewirken kann. Die FIFA, die UEFA oder der FC Barcelona machenes bereits vor und investieren 0,7 Prozent ihres Umsatzes in soziale Verantwortung.Das wollen wir flächendeckend für die ganze Branche erreichen. Das kann über Anteile anTransfergeldern, an Tickets, an Spielergehältern, an Medienrechten und vielen Stellschrauben mehr laufen.
Die Konzeption ist ambitioniert undsicherlich in Deutschland gewöhnungsbedürftig. Müssen Sie viel Überzeugungsarbeitfür Ihre Idee leisten? Wie sieht es mit Widerständen aus?
Es gibt natürlich strukturelle Widerstände.Die Welt ist noch weit von dem entfernt, was ich gerade skizziert habe.Wir sind aber davon überzeugt, dass man zukünftig als Unternehmen nur dann erfolgreich arbeiten wird, wenn man auf die Frage nach der sozialenVerantwortung eine überzeugende und glaubwürdige Antwort findet. DieseErkenntnis kann schmerzhaft für Unternehmen sein, weil sie Grundpfeiler, wie den exklusiven Fokus auf die finanziellen Kennzahlen und die ungeheuerstarke Brand-Orientierung, infrage stellt. Andererseits will man ja eine überlebensfähige, nachhaltige Welt, in der es auch übermorgen nochKunden bzw. Konsumenten gibt. Das beides zusammen zu bringen, ist die große Herausforderung.
Bislang ist diese Vision nicht integraler Bestandteil der Anforderungen an einen erfolgreichen Manager, auch wenn es hierzum Beispiel in den USA schon Bewegung in diese Richtung gibt. Hier müssen nämlich auch die Public-Benefit-Kennzahlen, also der Beitrag, den man zur Nachhaltigkeit leistet, stimmen. Das ist aber bei weitem noch nicht Mainstream.
Macht es für Unternehmen einen Unterschied, ob sie als Profit oder Non-Profit auftreten?
Auch das ist gewöhnungsbedürftig.Mit dem Begriff „Sozialunternehmen“ tun sich die Leute noch immer schwer.Wir orientieren uns damit ja bewusst am Wirtschaftsbereich und wollen sagen, dass wir im sozialen Bereich genauso effizient und professionell und am Ziel orientiert arbeiten. Andererseits wollen wir auch nicht alles aus der Wirtschaftswelt übernehmen. Schließlich wurde ein Großteil der heutigen Probleme durch diese Logik verursacht.
Die Fragen stellte Henrik Flor.