Schöner scheitern

12. März 2014

Genervt von guten Ratschlägen? Das sind wir auch. Deshalb haben wir die schlechtesten zusammengestellt. So wird es garantiert nichts mit der Weltrettung. Dass die Flop Ten funktionieren, können wir versprechen. Die Mitglieder der Enter-Redaktion haben, in unterschiedlichen Konstellationen, alle schon selbst ausprobiert.

 

Platz 1
Sich für innovativ halten

Was Sie vorhaben, das gibt es schon. Garantiert. Es gibt kaum eine Idee, die nicht schon jemand anderer hatte und umgesetzt hat. Kümmern Sie sich nicht darum. Recherchieren Sie am besten erst gar keine vorhandenen Ansätze und schon gar keine Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Organisationen, die das Gleiche wollen.

Ködern Sie Mitstreiter und Geldgeber stattdessen mit Innovationslyrik. Beschreiben Sie Ihr Anliegen und ihre Methoden als noch nie dagewesen. Ihre potenziellen Unterstützer merken dann ziemlich schnell, dass Sie sie für ahnungslos halten. Nur so werden Sie sich in kurzer Zeit den Ruf einer „Heißdüse“ erarbeiten und ziemlich sicher ohne Finanzier und andere Unterstützer dastehen.

 

Platz 2
Die Welt retten wollen

Klar, Sie könnten sich vor Ort ein konkretes Ziel setzen – zum Beispiel: 20  Schülern im Jahr vor Ort mithilfe von Mentoren zu einem Schulabschluss verhelfen. Aber mal ehrlich: Machen Sie es sich nicht etwas zu einfach? Ist nicht eine gesunde Ernährung die Voraussetzung für echten Schulerfolg? Gibt es vor Ort genügend regionales Biogemüse? Ist schon ausreichend über Gen-Mais aufgeklärt worden? Springen Sie bloß nicht zu kurz, sondern suchen Sie immer nach der maximal ganzheitlichen Lösung des Problems. Sie werden dann den Kern Ihres Anliegens aus den Augen verlieren und mindestens zehn Minuten brauchen, um zu erklären, was Sie eigentlich machen. Merke: Nur, wenn Sie richtig viele Baustellen aufmachen, können Sie sicher sein, dass Ihr Projekt fulminant an der eigenen Komplexität scheitern wird.

 

Platz 3

Sich mit einem Geldgeber begnügen

Ist es nicht schön? Sie haben einen „big fish“ an Land gezogen und brauchen sich ums liebe Geld keine Gedanken mehr machen. Jetzt können Sie sich ganz in die Arbeit stürzen. Fund-raisen sollen die anderen, die nicht so viel Glück hatten. Machen Sie sich bloß keinen Kopf um Nachhaltigkeit und was passiert, wenn die Förderung ein Ende hat – leben Sie im Hier und Jetzt. Gut, andere Projekte versuchen, weitere Sponsoren zu gewinnen, Geschäftsmodelle zu entwickeln, Spenden, Lizenzgebühren oder Mitgliedsbeiträge einzunehmen. Lassen Sie sich nicht von diesen Strebern irritieren und lassen Sie die Dinge auf sich zukommen.

 

Platz 4

Einen eigenen  Apparat aufbauen

Meine Geschäftsstelle! Mein Projektmanager! Meine Internetplattform! Kann es etwas Schöneres geben, als eine eigene Infrastruktur, die es zu unterhalten gilt? Wenn Sie es richtig anstellen, bescheren Sie Ihrer Organisation vor allem eines: Abhängigkeit, aus der Sie nicht mehr so schnell herauskommen. Wunderbar! Um den Laden dann nach dem Projekt-ende zu erhalten, werden Sie immer neue Projekte erfinden und vermarkten. Sie werden zugunsten neuer Geldquellen Ihren eigentlichen Zweck verwässern und Förderern nach dem Mund reden. Irgendwann wird Sie niemand mehr verstehen und Sie sich selbst vielleicht auch nicht.

 

Platz 5

Belanglos netzwerken

Sie sind gut vernetzt? Herzlichen Glückwunsch. Leider bedeutet das gar nichts. Denn: „Gut, dass wir drüber geredet haben“, ist leider allzu oft das Einzige, was aus vielen der berühmten „Vernetzungsgespräche“ herauskommt. Man hat sich kennengelernt, weiß, was der andere macht, und das war es auch schon. Gerade wenn Sie dabei sind, ein Projekt anzuschieben, haben Sie vor allem von einem zu wenig: Zeit! Wenn Sie diese also mit unverbindlichem Dating verplempern, können Sie sicher sein, die wesentlichen Aufgaben nicht zu schaffen.

Hüten Sie sich davor, nur mit denjenigen Leuten zu sprechen, die im Sinne einer echten Arbeitsteilung wichtige Dinge gemeinsam mit Ihnen anpacken und Ressourcen teilen wollen. Das würde nämlich Zeit sparen und Ihnen ein ganz anderes Standing bei Dritten bescheren.

 

Platz 6

Die eigene Wirkung nicht kennen

Es gibt viele gute Gründe, ein Projekt zu starten: Stärker im Mittelpunkt stehen, die Zeit totschlagen, nette Leute kennenlernen… Ach, und natürlich will man auch etwas Gutes tun. Jetzt gibt es relativ einfache Verfahren, herauszubekommen, was das Projekt eigentlich bringt, wie viele Menschen erreicht werden, ob es die Welt wirklich etwas besser macht. Aber, hey, wollen Sie sich den Stress wirklich geben? Am Ende würden Sie merken, dass einige Dinge noch verbessert werden könnten! Dann muss man sich zusammensetzen, Prozesse neu justieren und es mal nicht nach Schema F machen. Unterschätzen Sie es nicht: Das alles bedeutet Arbeit und „irgendwie“ hat es doch auch vorher funktioniert.

 

Platz 7

Kein Geld fürs Management einplanen

Was tun, wenn Ihr Projekt wachsen und auch Menschen anderenorts erreichen soll? Auch wenn jeder vernünftige Mensch weiß, dass Expansion nicht ohne Management geht – hängen Sie das um Gottes Willen nicht an die große Glocke. Overhead-Kosten sind nun echt nicht sexy und bestimmt denken Förderer dann, es fließt zu wenig Geld in die eigentliche Projektarbeit. Was spricht eigentlich dagegen, den Förderantrag ein bisschen zu frisieren? Verstecken Sie doch einfach die Overhead-Kosten in anderen Posten. Wenn im Finanzierungsplan niemand auftaucht, der die Arbeit machen soll, merkt das bestimmt keiner. Und wenn doch? Es kann nicht immer alles klappen im Leben.

 

Platz 8

Sich unersetzlich machen

Ohne Sie geht gar nichts? Sie sind der Einzige, der das Projekt wirklich kennt, die Buchhaltung durchschaut und weiß, wie der Beamer funktioniert? Sorgen Sie dafür, dass dieser Zustand nicht so schnell endet und der Laden ganz sicher zusammenbricht, wenn Sie mal weg sind. Achten Sie peinlich genau darauf, dass nichts dokumentiert wird und darauf, dass sich kein überambitionierter Kronprinz in Stellung bringt. Wem das nicht gefällt, der kann ja gehen. Eine ganze Menge Weggefährten haben das sicher schon gemacht. Die hatten gute Ideen und auch eine Menge Zeit investiert. Doch irgendwann hatten sie keine Lust mehr, immer wieder vor eine Wand zu laufen. Sei es drum.

 

Platz 9

Es allen Recht machen wollen

Im Grunde unseres Herzens wollen wir doch bloß, dass uns alle lieb haben. Diese Weisheit gilt ganz besonders für den Gemeinwohlsektor. Nirgends dürfte die Quote der Harmoniesüchtigen höher liegen. Man will es den anderen Freiwilligen im Projekt Recht machen – schließlich investieren sie ihre Freizeit. Man will dem Förderer gefallen – schließlich gibt er das Geld. Und dann möchte man auch mit der Kommune, der Presse, Kooperationspartnern, Trägern, Nachbarn usw. best buddy sein. Diese Haltung, oder Nicht-Haltung, hat natürlich ihren Preis: Sie werden andauernd Kompromisse machen, sich selbst zensieren, anderen nach dem Mund reden und als Gesprächspartner nicht sonderlich einprägsam sein. Und jetzt alle zusammenkommen: Group Hugging!

 

Platz 10

Nur für das Projekt leben

Jeder kennt die Forderung nach der ausgewogenen Work-Life-Balance. Aber hat jemand schon mal von der Volunteering-Life-Balance gehört? Aus gutem Grund. Im Gegensatz zur Erwerbsarbeit eignet sich freiwilliges Engagement hervorragend zur grenzenlosen Selbstausbeutung. Eindeutige Kennzeichen der Engagierten, die von beiden Seiten brennen: E-Mails, die mitten in der Nacht verschickt werden, endlose Konzeptpapiere, das Aufsetzen immer neuer Unterprojekte und der Zwang, auf jeder Hochzeit mittanzen zu müssen. Ziehen Sie Ihren Stiefel durch! Ihre Mitstreiter werden dann früher oder später nicht mehr Schritt halten können und das Handtuch werfen. Nur, wenn die Taktzahl hoch genug ist, trennt sich die Spreu vom Weizen. So funktioniert nun einmal das „survival of the most committed“.

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