Top Ten der Engagement-Floskeln

13. Juni 2012

Worthülsen, Leerformeln, Sprechblasen – Enter hat mehrere Dutzend Sonntagsreden, Vorworte und Laudationes aus dem Gemeinwohlsektor ausgewertet und die beliebtesten Engagement-Floskeln ermittelt. Unser Kompaktwörterbuch „Engagiert- Deutsch“ erklärt die Top Ten der Allgemeinplätze.

alle, Gesamtheit [hier von Menschen] 1) „Wir alle“: Verwendet zum Schaffen von Gemeinschaftsgefühl innerhalb einer bestimmten Gruppe oder der Gesellschaft und vor allem zur Gleichstellung von Absender und Adressat. Der Redner hebt das Auditorium auf seine Ebene. 2) „Für alle“: Unrealistische und anbiedernde Bewertung von bürgerschaftlichem Engagement, zumeist gebraucht bei der Würdigung engagierter Menschen durch Politik und Institutionen.

Beispiel, auch Muster, Vorbild, Prototyp. Häufig bemühter Terminus, um vor Engagement- Publikum oder in Vorworten einschlägiger Publikationen das Publikum zu hofieren. Einfachste Möglichkeit, Anerkennung auszuschütten. Variationsmöglichkeiten: Musterbeispiel, Paradebeispiel, herausragendes Beispiel, leuchtendes Beispiel, beispielgebend. Als Beispiele finden regelmäßig dieselben Menschen und Projekte aus dem Dritten Sektor Erwähnung. Der Begriff verweist auf die gewünschte Übertragbarkeit des „beispielhaften“ Engagements durch andere Menschen oder Bürger. Hat mitunter starken Aufforderungscharakter im Sinne von Anstoß, Ansporn, →Anreiz.

Bürger [lat. civis], auch „aktive Bürger“, „engagierte Bürger“, „mündige Bürger“ oder „Bürgerschaft“, bezeichnet in der Regel die Träger von Engagement. Wie schon in Antike und Mittelalter ist ein exklusiver Kreis von alt eingesessenen Einwohnern gemeint, der über Bildung und Besitz verfügt. Verbandsengagierte verwenden den Begriff anlässlich von Vereinsjubiläen oder Feuerwehrfesten gerne in Abgrenzung zu den Empfängern von Engagement (siehe auch Bildungsferne, →Migranten, →Arbeitslose, Alte, →Behinderte). Politiker beschwören in Reden, Grußworten und Ansprachen zu Ehrenamtstagen den Begriff, um den „Bürgerinnen und Bürger in diesem Land“ den nötigen „Bürgersinn“ einzuimpfen, damit sie weiterhin ihrem freiwilligen und unbezahlten Engagement nachgehen.

Ehrenamt, auch Vereinsarbeit, freiwilliger Dienst. Häufig verwendet zusammen mit unbestimmten Termini wie „Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält“ oder „tragende Säule unseres Gemeinwesens“. Zumeist verstanden als unentgeltliche Übernahme von Funktionen in klassischen Institutionen wie Vereinen, Verbänden, Kirchen oder Parteien. Der Begriff steht in Konkurrenz zum moderneren „Bürgerschaftlichen Engagement“ (siehe auch Bürger, →Engagement), da dieses zunehmend auch außerhalb von festen „Ämtern“ stattfindet. Konnte von diesem allerdings noch nicht verdrängt werden. Vertreter der Politik betonen ungeachtet ihrer teilweise erheblichen finanziellen Aufwandsentschädigungen intensiv das eigene „Ehrenamt“ in Kommunalparlamenten und anderen Gremien.

Engagement, 1) bezeichnet in Wirtschaft und Politik die Tatsache, dass gewählte und bestellte Personen die Tätigkeiten, für die sie gewählt oder bestellt sind, auch tatsächlich ausüben. Ein Abgeordneter „engagiert sich für seinen Wahlkreis“. Ein Gewerkschaftssekretär „engagiert sich für die Belegschaft“. Die Assoziation des Begriffes „Engagement“ mit Freiwilligkeit und Zusätzlichkeit wird hier bewusst genutzt, um die eigentlich selbstverständliche Aufgabenerfüllung zu überhöhen. 2) In der Gesellschaft: bezeichnet die kostenlose Übernahme sozial-karitativer Aufgaben des Staates durch Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen (siehe auch Bürger). Selten wird der Begriff für Bürgerbeteiligung und politische Partizipation verwendet.

Gesellschaft, 1) Sammelbegriff für diverse Rechtsformen von Wirtschaftsunternehmen (vgl. Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung etc.). 2) Die Gesellschaft: Unbestimmter Begriff für die Gemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger in einem sozialen Gefüge (Kommune, Staat, Region). Abgrenzung zu Individuum. Wird in Reden zumeist lautstark verwendet, um an Gemeinsinn zu appellieren und um ein vermeintliches kollektives Interesse zu artikulieren, für das es keinerlei Belege oder objektive Hinweise gibt: „Unsere Gesellschaft will keine…“ Nur höchst selten differenziert verwendet als „Bürgergesellschaft“ im Sinne von gleichberechtigtem Zusammenwirken von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

heute bzw. das Heute, Bezeichnung für die Gegenwart. Abgrenzung zu früher und gestern. 1) Bezieht sich in Form kritischer Betrachtungen auf Probleme, Herausforderungen in der Jetztzeit („Heute stehen wir vor der Schwierigkeit…“), vergleiche: Lamento. 2) Einleitung zu längeren soziologischen Exkursen („Wer heute in einen Verein eintritt…“). 3) Appellcharakter, meist pauschal an „die Politik“: „Engagementförderung muss sich heute stärker orientieren an…“. 4) Verwendung auch als inhaltsleere Worthülse, die Reden auf eine Mindestlänge strecken soll: „Ich sage heute an dieser Stelle…“.

Menschen [kleinste Maßeinheit im Engagementbereich]. Kann sowohl die Geber als auch Empfänger von freiwilliger Arbeit bezeichnen. Vermittelt Einfachheit, Gleichheit, Gemeinsamkeit. Engagement wird „von Mensch zu Mensch“ gegeben, „für andere Menschen etwas getan“, es wird „auf Menschen zugegangen“. Das Pathos im Subtext wird durch Adjektive spezifiziert: „junge Menschen“, „ältere Menschen“, „Menschen mit Behinderungen.“ In jeder Rede zum Thema sollten mindestens einmal die viel beschworenen „23 Millionen Menschen“ vorkommen, die sich in Deutschland freiwillig engagieren. Gerne auch verwendet für inhaltsarme Kampagnen-Claims: „Gemeinsam geht‘s – Menschen helfen Menschen“.

unsere, auch unser, unserer, unsere. Gut geeignet, um Gemeinsinn zu beschwören und ein Wir-Gefühl zu erzeugen. Beliebteste Verknüpfungen: „unsere Gesellschaft“, „unsere Gemeinde“. Verwendung auch mit nationalem Bezug: Bundespräsident Wulff nannte bei der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschlands die Auszeichnung „ein Lächeln unserer Bundesrepublik“. Häufig auch zur wenig fantasievollen Vereinnahmung von Preisträgern und Geehrten verwendet („unsere Ehrenamtler“, „unsere sozial engagierten Firmen vor Ort“).

Zukunft, [Kommende Zeitspanne]. Abgrenzung zu Vergangenheit und Gegenwart. 1) appellativisch, mahnend: „Es geht um die Zukunft unserer Kinder“ oder „In Zukunft wird es ohne mehr Bürgerengagement nicht gehen“. In dieser Verwendung meist an Dritte gerichtet, nicht an den Redner selbst adressiert, um über Zukunftsangst bestimmte Handlungsweisen auszulösen. 2) optimistisch, nach vorne blickend: „So sichern wir unsere Zukunft“. Besonders häufig verwendet als Bestandteil von Werbeslogans im Wahlkampf.

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Ein Kommentar

  1. Ralf
    Ralf
    13. September 2012 zu 07:41
    | Antworten

    Meine absolute Lieblingsfloskel ist "Zivilgesellschaft". Sie begegnen mir bevorzugt in Bundesfreiwilligendienst-Zusammenhängen und wird von Menschen verwendet, die sich für das Engagement von Freiwilligen in der Sozial- und Wohlfahrtsindustrie einsetzen. Hinter Zivilgesellschaft verbergen sich dann beispielsweise die gewinnorientiert arbeitenden Kliniken, Krankentransportunternehmen oder Pflegeheime/-dienste der Sozial- und Wohlfahrtsverbände. Nicht ganz klar geworden ist mir bislang, ob z.B. Atomkraftwerksbetreiber oder Automobilkonzerne auch zur Zivilgesellschaft zählen. Sie tun ja schließlich auch Gutes, in dem sie uns ihren Strom liefern oder unsere Mobilität (mittlerweile ein Grundrecht, höre ich) ermöglichen.

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