Baustelle Demokratie

9. Mai 2012

Serge Embacher hat schon in verschiedenen Rollen ganz leidenschaftlich für eine aktive Bürgergesellschaft gestritten. In seinem Buch „Baustelle Demokratie” attestiert er eine Krise der solidarischen Gesellschaft. Eine Erneuerung könne nur von einer mündigen Bürgergesellschaft ausgehen. Dies ist keine weitere Sonntagsrede zum Thema Engagement, sondern eine beinharte, dabei richtungsweisende Gesellschafts- und Kapitalismuskritik.

Foto: Körber Stiftung /David Ausserhofer

Serge Embacher, Baustelle Demokratie. Edition Körber Stiftung. 224 Seiten. 16,- Euro

Audio-Interview mit Serge Embacher:

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Ein Kommentar

  1. Loring Sittler
    Loring Sittler
    15. Juni 2012 zu 03:04
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    Stimme der GEsamtbewertung voll zu: Pflichtlektüre! Aber: Einzig störend ist aus meiner Sicht die unnötige, aber ausgeprägte sozialdemokratische Bewertung und Diktion, die ihn an einzelnen Stellen zu Widersprüchlichkeiten und Bewertungen verführt, die die allgemeine Zustimmung zur Botschaft des Buches beeinträchtigen können. So ist z.B. im Kapitel über die Wirtschaft vom „systembedingten Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit“ (179) die Rede – da hört man den alten Marx förmlich husten, als ob es die erfolgreiche Sozialpartnerschaft und das Modell der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland gar nicht gäbe. Da wettert er gegen „weitere Privatisierungstendenzen der öffentlichen Daseinsvorsorge“, deren „profitorientiertes Denken… nichts zu suchen habe“ in den Bereichen Bildung und Erziehung, Altenpflege usw. (199), da ist die Rede von einer „vollständigen Ökonomisierung aller Bereiche“, von einer „Verbetriebswirtschaftlichung des Sozialstaatsgedankens“ (107) usw. Als ob die Privatschulen nicht eine hervorragende Ergänzungsfunktion wahrnehmen und auch im Bereich der (ambulanten) Pflege der Wettbewerb mit den privaten Anbietern nicht eine wesentlich bessere Effektivität auch bei den Wohlfahrtsverbänden bewirkt hätte, die nichts mit Profitabilität zu tun hat, sondern mit sorgsamen Wirtschaften. Dass er bei seiner Polemik gegen die „liberale Bürgergesellschaft“ und die „Verzweckung“ (112) des Engagements das allgemein anerkannte Prinzip der Subsidiarität gar nicht erwähnt, lässt auf ein grundlegendes Missverständnis schließen: Er schreibt von der „Selbst-Depotenzierung des Staates“ (112).
    Wünscht er sich im Umkehrschluss einen „potenten Staat“, obwohl er an vielen anderen Stellen den Paradigmenwechsel zu einer neuen Komplementarität zwischen Staat und Gesellschaft aufruft? Und woher soll denn dieser starke Staat die Mittel nehmen in Zeiten sich (auch wegen der Demografie extrem verschärfender Heausforderungen, gewaltiger Staatsschulden und der verfassungsmässigen Schuldenbremse? Egal wie viele Fehler die gegenwärtige Regierung macht: Der Staat als solcher ist schon längst ein Getriebener und kaum mehr Treiber, weder im finanziellen noch im materiellen Sinne. Aber vom Staatsmonopolkapitalismus sind wir doch wohl weit entfernt.

    Die von ihm propagierte „solidarische Bürgergesellschaft“ (118) will die „Bürgergesellschaft in den Rang einer ‚Koproduzentin’ wohlfahrtsstaatlicher Leistungen erheben“ (119). Wenig später geißelt er die schwarz-gelbe Bundesregierung (zu recht!) dafür, den „Citoyen auf das Maß des helfenden Dienstleisters zurückstutzen zu wollen“ (122) – wo ist da der Unterschied? Er fällt hinter seine eigene Idee zurück und bleibt im Grunde selbst einem vom ihm selbst kritisierten paternalistischen Bild vom „Vater Staat“ (144) verhaftet. Wie anders lässt sich erklären, dass er die „Entfaltung“ der Bürgergesellschaft ausschließlich von der „staatlichen Förderung und Aktivierung“ abhängig macht (120)? Schon die jetzt erreichte Stärke der Bürgergesellschaft beweist, dass sie sich auch mit einer mikrigen öffentlichen Förderung ganz gut, wenn auch bei weitem nicht ausreichend, entfalten kann.
    Obwohl er schreibt, dass sich bürgerschaftliche Aktivitäten auf Tätigkeiten erstrecken, die „Staat und Wirtschaft weder leisten können noch sollen“ (96), folgt später die gebetsmühlenhaft wiederholte, typisch sozialdemokratische Warnung vor „Monetarisierung“ (158) und „Verdrängung regulärer Beschäftigung“ (159). Wie falsch diese pauschale Aussage ist, kann man schon daran erkennen, dass Freiwillige in Bildungsprojekten noch nie jemand aus irgendeiner Beschäftigung, schon gar nicht aus einer sozialversicherungspflichtigen, verdrängt haben. Und wie sich diese Aussagen mit einer seine Hauptforderungen nach einer „sinnvollen Verbindung von bürgerschaftlichem Engagement und Erwerbsarbeit“ verträgt, erschließt sich einem nicht.

    Das Buch wirkt dennoch insgesamt sehr ermutigend und optimistisch motivierend. Es ist eine wirklich lohnende Pflichtlektüre für jeden an der Weiterentwicklung unserer Demokratie Interessierten und erst recht für die bürgerschaftlich Engagierten und ihre Förderer, die sich zu oft im täglichen sozialkaritativen Engagement verstricken und die gesellschaftspolitische Gesamtperspektive verlieren. Seine betont strategische Vision hebt die Darstellung wohltuend ab vom alles beherrschenden Kleinklein des alltäglichen Engagements und der politischen Geschachers um Einzelthemen. Und diese Vision, das Leitbild Bürgergesellschaft (171), setzt klare Maßstäbe, wir wir alle gemeinsam unsere Gesellschaft noch weiter voranbringen können. „Wir sind – und das macht unsere Zeit voller Irrungen und Orientierungsprobleme so spannend -in einer neuen Phase der Aufklärung und damit der Vorstellungen vom Gemeinwesen.“(196).
    Sapere aude! (Kant, 1789)
    Loring Sittler, Berlin

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