Editorial: Klare Verhältnisse

29. Juli 2015

Die gestaltende und treibende Kraft in einer Gesellschaft sind die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Dort, und nicht in der politischen Arena, entstehen die Ideen und Taten für den sozialen Wandel.

Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, dann wäre er mit der Flüchtlingsthematik erbracht. Frappierend, wie weit das bürgerschaftliche Engagement in allen Teilen des Landes dem politischen Nicht-Handeln voraus ist: kreative Ideen, zupackende Hilfe und Empathie auf der einen; Zuständigkeitsgerangel, Finanzierungsgeschacher zwischen Bund und Ländern und Schuldzuweisungen auf der anderen Seite.

Aber betrachten wir das Glas als halb voll. Wer die Situation während des vorigen großen Flüchtlingszustroms in den frühen neunziger Jahren bewusst verfolgt hat und mit der heutigen vergleicht, der registriert erleichtert, dass die Bürgergesellschaft ein gutes Stück vorangekommen ist. Es macht Mut zu beobachten, wie zivilgesellschaftliche Organisationen vor Ort – von der Freiwilligen Feuerwehr bis zur Bürgerstiftung – im Zentrum der Hilfe stehen.

Wohlgemerkt: Das ist keine lückenbüßerische Ersatzfunktion für einen versagenden Staat, sondern gelebte Subsidiarität in Bestform. Wir sind gerade dabei, im Angesicht einer humanitären Herausforderung die Kräfteverhältnisse und Kompetenzen in unserem Staats- und Gesellschaftssystem wieder zu- rechtzurücken – nämlich nach unten.

Man darf gespannt sein, ob sich etwas davon verfestigt. Ob die politische Arena im Gegenzug erkennt, dass an die Stelle ihrer Steuerungsfantasien maximaler Spielraum für eine selbst- bewusste Bürgergesellschaft treten muss.

Uwe-Amrhein-300x298

Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter.

Weiter Lesen:

Ein Kommentar

  1. März, Josef
    März, Josef
    30. Juli 2015 zu 14:56
    | Antworten

    Es ist gut und macht auch immer wieder Hoffnung wenn man vom Engagement vieler Menschen in unserem Land liest. Wenn aber Bierzeltpolitiker aus Bayern und auch nicht wenig andere die Stammtischparolen noch beflügeln, darf man sich über radikale Gruppen auf der anderen Seite nicht wundern. Leider wird die Unfähigkeit der Verantwortlichen nicht bestraft.

Kommentar abgeben