Titel – die Flutbürger

13. April 2013

Markus Striedl ist kein Computer-Nerd und auch kein Social-Media-Experte. Doch als das Hochwasser einen Großteil Passaus flutete, hat der 22-Jährige auf Facebook tausende Freiwillige koordiniert und etliche Tonnen Sachspenden dirigiert. Ein Bericht aus einer Stadt im Ausnahmezustand.

3. Juni 2013:Markus Striedl istgerade auf Facebook unterwegs. Morgen beginnt die nächste Schicht bei der Freiwilligen Feuerwehr Passau-Heining. Für seinen Einsatz ist der Konstruktionsmechaniker von seinem Arbeitgeber freigestellt worden. Er stößt auf die Facebook-Seite „Hochwasserhilfe Passau“, die wenige Stunden vorher gegründet wurde und schon mehrere hundert Fans hat.

Im aktuellen Post wird dringend eine Lagerfläche für Sachspenden gesucht. Markus Striedl meldet sich bei der Gründerin der Seite und bietet seine Garage an. Als er seine Adresse durchgibt, stellt sich heraus: Er wohnt direkt neben Bianca Teumer, der Betreiberin der Fanpage „Hochwasserhilfe Passau“.Schnell wird klar, dass es nicht nur an Lagerraum fehlt, sondern auch an personellen Kapazitäten, um die Facebook-Seite zu betreuen, die ständig neue Fans bekommt, und mit Anfragen bombardiert wird, wo man mit anpacken oder wo man Sachspenden hinbringen könne. Eigentlich hat die selbstständige Gebäudereinigerin die Seite eröffnet, um die eigenen Freunde zu informieren und deren Hilfsbereitschaft zu kanalisieren. Dass in Rekordzeit Tausende Fans hinzukamen war nicht geplant. Striedl ist sofort bereit zu helfen und wird als Administrator freigeschaltet. Wenig später kommtseine Freundin, BiancaHaidl, hinzu.

Das zusammengewürfelte Team funktioniert sofort. Die Absprachen, wer aktuell für die Beantwortung von Anfragen und Postings zuständig ist, wird spontan per Telefon oder SMS getroffen.Striedl: „Wenn ich für die Feuerwehr im Einsatz bin, dann sehen wir zu, dass meine Nachbarin am Computer ist und überwacht, was dort passiert, und postet.“ Dabei wird nicht nur vom Rechner aus gepostet, sondern auch von vor Ort. Wenn Striedl beim Einsatz für die Feuerwehr eine wichtige Neuigkeit begegnet, wird es per iPhone gepostet. Das kann ein Motivationsfoto sein, wenn eine Menschenkette über 250 Meter Sandsäcke anreicht.

Die meiste Arbeit ensteht beim Weitervermitteln von Helfern, die sich auf Facebook melden, an die Koordinierungsstellen oder Einsatzorte, die privat ausgeschrieben werden.

Das Engagement für die Facebook-Seite heißt für Striedl konkret: Wenn seine 12-Stunden-Schicht bei der Feuerwehr zu Ende ist, er Sandsäcke gestapelt und Anwohner in Sicherheit gebracht hat, kommt er nach Hause, wirft die Uniform in die Ecke und verbringt noch 4-5 Stunden am Rechner. Wenn er die gleiche Zeit im Bett verbringen könnte, wäre er froh. Ausnahmezustand online und offline.

Kooperation statt Konkurrenz

Facebook-Gruppen in anderen Städten haben teilweise heftige Kritik der offiziellen Krisenstäbe einstecken müssen. Da wurden Freiwillige an Orte geschickt, wo sie nur im Weg standen, andernorts fehlte wichtige Hilfe. Die Passauer machen es anders. Obwohl das Team immer am Rande der Leistungsfähigkeit arbeitet, wird jede Nachricht, jeder Aufruf gegengecheckt, bevor er online geht: mit dem Bürgerbüro, der Feuerwehr, der Caritas, der Stadt Passau oder den anderen wichtigen Anlaufstellen im Bereich Katastrophenhilfe. Markus Striedl telefoniert mehrmals am Tag mit allen wichtigen Playern, klärt ganz genau, wo wann wie viele freiwillige Helfer gebraucht werden, was sie an Schaufeln oder Putzmitteln mitbringen sollen. Und wenn jemand zwei Bleche Kuchen für die Helfer hat, wissen die Facebook-Aktivisten ganz genau, wo die gebraucht werden. Sind genügend Freiwillige an einem Einsatzort zusammen, wird umgehend gepostet, dass keine weiteren Helfer benötigt werden. Die enge Verzahnung mit der professionellen Katastrophenhilfe funktioniert – das Feedback von den Krisenprofis ist durchweg positiv.

So wie das Team der „Hochwasserhilfe Passau“ mit den professionellen Katastrophenhelfern eng kooperierte, so gibt es auch einen engen Austausch mit den anderen Facebook-Aktivisten. „Egal ob ‚Mamas helfen‘ oder später ‚Passau räumt auf‘ – wir sind in Kontakt, stimmen unsab, telefonieren regelmäßig, schicken uns gegenseitig Helfer vorbei und teilen gegenseitig wichtige Posts. Ohne diesen Austausch wäre das alles nicht möglich gewesen“, ist sich Striedl sicher.

Die Facebook-Mobilisierer machen vor, wie ein neues, gänzlich uneitles Miteinander funktioniert. Hier gibt es keine Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Spenden, wie sie auch der Nonprofit-Sektor kennt. Das Sharing-Prinzip, das sich gerade im Netz rasant verbreitet, findet in der Katastrophenhilfe ganz konkrete Anwendung. Synergien sind gefragt, nicht das Posen mit Fan-Zahlen und Reichweiten.

Von wegen Clicktivismus

Was die Hochwasser-Facebook-Seiten noch von reinen Kampagnenseiten unterscheidet: Hier geht es nicht um möglich viele „likes“ oder das Zeichnen einer Petition. Es geht um die Vermittlung ganz konkreter Hilfe, die eine Stunde später vor Ort ist und mit anpackt. Die Manager der Passauer Fanpage stehen selbst als Freiwillige an den Brennpunkten und helfen ganz konkret. Das Motivieren und Koordinieren weiterer Freiwilliger und Sachspenden kommt „on top“.

Die Facebook-Aktivisten bauten in der überfluteten Stadt Brücken und schafften ein Gemeinschaftsgefühl, das es vorher nicht gab. Noch vor dem Hochwasser hatten sich die Alteingesessenen regelmäßig über die lauten und feierwütigen Studierenden beschwert. Also über die Leute, die nun – als die Universität ohnehin pausierte – geschlossen als Helfer in der Altstadt unterwegs waren, und bei fremden Menschen überschwemmte Keller entrümpelten und säuberten. Menschen lernen sich kennen, die vorher nur über einander geredet haben, nicht miteinander und sich oft genug missverstanden haben. Von Clicktivismus, dem schnellen „gefällt mir“-Drücken ohne irgendeine soziale Wirkung, keine Spur. Konkreter und praktischer kann bürgerschaftliches Engagement kaum aussehen.

Nach dem Wasser

In Passau hat sich die Lage inzwischen deutlich entspannt. Das Wasser ist zurückgegangen, und die Altstadt ist weitgehend vom Schlamm gesäubert. Helfer werden nur noch punktuell gebraucht, Feuerwehr, THW und Bundeswehr haben wieder allein den Hut auf. Striedl: „Wir haben mit dem Helferbüro gesprochen und mit ‚Passau räumt auf‘ und uns erkundigt, ob noch jemand gebraucht wird. Ab heute werden definitiv keine Helfer mehr benötigt.“ Für die „Hochwasserhilfe Passau“ ändert sich damit auch der Fokus ihrer Arbeit. Freiwillige müssen nicht mehr vermittelt werden, dafür geht es jetzt um Möbel oder Baumaterial für die Geschädigten, so wie das Altstadt Hotel, das dringend Möbel braucht. Wer auf der Facebook-Seite den Aufruf liest, schickt seine Telefonnummer, die dann an das Hotel zur direkten Absprache weitergereicht wird. Inzwischen wurde auch ein zentrales Lager eingerichtet, in das das Team um Markus Striedl Sachspenden kommen lässt, die von Flut Betroffenen abgeholtwerden können. Auch ein Flohmarktmit kostenlosen Sachspenden ist in Planung.

Markus Striedl und seinen Mitstreiterinnen ist noch ein weiterer Coup gelungen. Sie sind zum örtlichen Mediamarkt gefahren, um einen Rabatt für Flutopfer auszuhandeln, jetzt wo viele Passauer neue Waschmaschinen, Kühltruhen und Elektrogeräte brauchen. Auch wenn Mediamarkt selbst keine Prozente einräumt, haben sich viele Hersteller wie Liebherr, Bosch oder AEG bereit erklärt, 10 Prozent weniger zu nehmen.

Bei lediglich 1.500 Euro, die Privathaushalte als Entschädigung erhalten, immerhin ein Zeichen. Der Verhandlungserfolg wurde sofort über Facebook mitgeteilt. Viele andere Unternehmen zogen nach, inzwischen werden alle Vergünstigungen auf einer eigenen Website zusammengeführt.

Was bleibt

Nach einer Woche Ausnahmezustand sind nun auch bei Markus Striedl die Reserven aufgebraucht. Sein Feuerwehreinsatz ist beendet. Eigentlich müsste er jetzt wieder zur Arbeit bei einem ortsansässigen Anlagen- und Maschinenbauer. Der hat aber auch mitbekommen, was der Kollege alles auf die Beine gestellt hat und hat noch ein paar Tage Sonderurlaub draufgelegt.

Für die Facebook-Freunde bleiben gemischte Gefühle. Da ist immer noch die Euphorie angesichts der großen Hilfsbereitschaft und des Zusammenhalts. „Dass alle Spuren innerhalb von einer Woche von den Straßen entfernt wurden, ist große Klasse. Aber guckt man in die offenen Türen hinein, sieht man das Ausmaß an Zerstörung“, erzählt Striedl. So bleiben neben der Freude auch die Eindrücke von den großen Herausforderungen, vor denen viele Passauer nun stehen. So wie die 71-jährige Frau, dieStriedl gerade noch besucht hat. Ihre Wohnung ist komplett unbewohnbar geworden – jetzt wird eine Ersatzwohnung gesucht – natürlich über Facebook.

Spenden für die Flutopfer kann man hier: www.flutspenden.de

Fluthilfe Passau auf Facebook: https://www.facebook.com/HochwasserhilfePassau

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