BürgerInnen-Räte in Baden-Württemberg – Interview

12. Januar 2012

Baden-Württemberg macht erste Schritte in Richtung mehr direkter Bürgerbeteiligung. Sozialministerin Katrin Altpeter möchte die BürgerInnen-Räte als kommunales Beteiligungsformat einführen. Pate für das Partizipations-Experiment, für das das Land 30.000 Euro zur Verfügung stellt, ist das Vorarlberger Büro für Zukunftsfragen (ZuB). Enter sprach mit Michael Lederer vom ZuB.

 

Wie kann man sich das Modell BürgerInnen-Räte vorstellen?
Der BürgerInnen-Rat ist eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Bevölkerung und Politik. Unter qualitätsvoller Moderation werden mit zufällig ausgewählten BürgerInnen an einem Wochenende Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen ausgearbeitet. Der BürgerInnen-Rat ist ein unparteiisches Sprachrohr der Bevölkerung und bringt Politik und Bürger wieder näher zusammen.

Beim BürgerInnen-Rat werden nach dem Zufallsprinzip zehn bis fünfzehn BürgerInnen eines Ortes, einer Region oder eines Landes ausgewählt, die an eineinhalb Tagen miteinander arbeiten. Aufgrund der Zufallsauswahl handelt es sich bei den Teilnehmenden um „normale“ Leute, die über keinerlei spezielles Vorwissen oder spezielle Qualifikationen verfügen. Sie vertreten keine Interessensgruppen, sondern ihre persönliche Meinung. Am Ende des BürgerInnen-Rats soll eine gemeinsame Erklärung verfasst werden. Wichtig ist, dass sich die ganze Gruppe auf diese Erklärung einigt, die dann in einem zweiten Schritt der Öffentlichkeit präsentiert wird.

Welche Rolle spielt der Moderator?
Der Prozess wird durch ein spezielles Moderationsverfahren („Dynamic Facilitation“) begleitet. Mit dieser Moderationstechnik können Ideen entstehen, die über bekannte oder nahe liegende Lösungsansätze hinausgehen. Das Verfahren eignet sich daher gerade bei schwierigen oder konfliktbehafteten Themen. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Diskussion mittels der Rubriken „Probleme“, „Lösungen“, „Bedenken“ und „Daten“, strukturiert und nachvollziehbar gemacht wird. Die Methode leistet also einen entscheidenden Beitrag, die Diskussion voranzutreiben und ermöglicht es gleichzeitig, gezielt die grundsätzlichen Probleme zu besprechen. Der Moderator bzw. die Moderatorin unterstützt die Teilnehmenden dabei ihre Sichtweise einzubringen und stellt gleichzeitig einen geschützten (und somit wertschätzenden) Rahmen für die Auseinandersetzung unterschiedlicher Standpunkte her.

 

Haben Sie ein konkretes Beispiel für den Einsatz der Methode?
BürgerInnen-Räte können für eine bestimmte Zielgruppe, zu einem bestimmten Thema oder in unterschiedlichen räumlichen Zonen durchgeführt werden. Als besonders wirkungsvoll erweist sich das Instrument des BürgerInnen-Rates, wenn er in regelmäßigen Abständen, mit jeweils neuer Zufallsauswahl, durchgeführt wird. Dann kann sich der BürgerInnen-Rat als neue Form etablieren, um sich als Bürger unparteiisch in die politische Diskussion und die Gestaltung des Lebensumfeldes einzubringen.

In Vorarlberg arbeiten wir mittlerweile seit sechs Jahren mit dieser Methode und es gab über 20 Anwendungen auf kommunaler, regionaler und Landesebene. Das Themenspektrum reicht dabei von Planungs- und Leitbildprozessen, über Bauvorhaben, Belebung des Ortes bis hin zur Anwendung mit Jugendlichen oder Müttern. Dokumentationen und weiterführende Informationen zu den einzelnen Anwendungen gibt es unter: www.vorarlberg.at/beteiligung

 

Welche Rückmeldung bekommen Sie von den Teilnehmern?
Wenn sich die Teilnehmenden erst einmal bereit erklärt haben, bei einem BürgerInnen-Rat mitzuwirken, dann ist anschließend die Begeisterung oft sehr hoch. Vielfach wird der Wunsch geäußert, mehr Zeit für das Projekt zu investieren und dranzubleiben. Die Erfahrung zeigt, dass die Teilnehmenden die Erfahrung machen, selbst etwas bewirken zu können. Dies ist für uns die größte Motivation auch weiterhin in BürgerInnen-Räte zu investieren und sie nicht nur als Möglichkeit der Bürgerbeteiligung einzusetzen, sondern allgemein als Instrument zur Aktivierung und Engagementförderung.

 

Haben sich auch Schwächen des Formats gezeigt?
Die Aktivierung der Teilnehmer ist in jedem Fall einer der wichtigsten Aspekte, den es bei der Vorbereitung eines BürgerInnen-Rats zu berücksichtigen gilt. Grundsätzlich gilt natürlich, wie auch bei anderen Beteiligungsprozessen, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen: In erster Linie muss der Prozess ergebnisoffen sein, er sollte politisch mitgetragen und ehrlich gemeint sein, die Ergebnisse sollten (auch wenn es keine Form der Mitentscheidung ist) ernsthaft berücksichtigt werden, es sollte eine Rückmeldung von Seiten der Entscheidungsträger erfolgen, wie mit den Ergebnissen und Anregungen aus dem BürgerInnen-Rat umgegangen wird. Und auch wenn wir hier in Vorarlberg seit einigen Jahren mit BürgerInnen-Räten experimentieren, so lernen wir doch bei jeder Anwendung dazu. Der Prozess selbst bleibt also ein Lernprozess für alle Beteiligten, für die Teilnehmenden genauso wie für die Politik und Verwaltung.

 

Welchen „impact“ haben die Ergebnisse, die BürgerInnen-Räte erarbeiten?
Um auf diese Fragen zu antworten ist es wichtig auf die nachfolgenden Schritte zu achten, die nach dem eigentlichen BürgerInnen-Rat passieren. Das Statement, welches die Teilnehmer des BürgerInnen-Rats erarbeiten, wird in einem zweiten Schritt im Rahmen eines Bürgercafés (World Café-Methode) der Öffentlichkeit vorgestellt und vertiefend diskutiert. Dieses Format der Ergebnispräsentation ist insofern wichtig, um eine wertschätzende und breit gefächerte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen zu garantieren. An diesen Abend knüpft sich ein weiteres Treffen. Diese sogenannte Resonanzgruppe, die aus Entscheidungsträgern, Engagierten und Interessierten zusammengesetzt ist (ca. 10-15 Personen), hat die Aufgabe die Ergebnisse des bisherigen Prozesses auf ihre Umsetzbarkeit zu überprüfen. Dieser dritte Schritt ist vielfach entscheidend, welche Anregungen wirklich realisiert werden. Neben der Umsetzung konkreter Maßnahmen hat der BürgerInnen-Rat aber vielschichtige Wirkungen: er ist ein Prozess politischer Bildung und fördert sogenannte „democratic skills“ – sei es das aktive Zuhören, die Abwägung von Argumenten, den Blick aufs Ganze zu werfen, aber auch Kompromisse einzugehen und sich als Teil einer Gruppe zu sehen.

 

Welche Rolle hat das Büro für Zukunftsfragen bei der Implementierung der BürgerInnen-Räte in Baden-Württemberg gespielt?
Inzwischen organisieren wir auch Ausbildungen in Dynamic Facilitation und geben so unser Know-how gerne weiter. Wir stehen mit Baden-Württemberg, beispielsweise über das Netzwerk „Grenzen-Los!“, in enger Verbindung und haben gemeinsam BürgerInnen-Räte in Deutschland (Konstanz), Österreich (Krumbach im Bregenzerwald) und der Schweiz (Thalwil bei Zürich) umgesetzt.

Johannes Warmbrunn von der Stabstelle Bürgerengagement im Sozialministerium ist einer unserer Partner aus Deutschland und war sicher Protagonist bei der Einführung der BürgerInnen-Räte in Baden-Württemberg.

Mehr zu den BürgerInnen-Räten in Vorarlberg unter: www.vorarlberg.at/beteiligung

Foto: BürgerInnen-Rat: Mario Wezel

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