Occupy – wir Protest-Poser

2. November 2011


Alle lieben Occupy. Noch nie lief eine Bewegung Gefahr, so schnell totgekuschelt zu werden. Dabei sind unsere Sympathien für die Kapitalismuskritiker vor allem eines: verlogen.

Geschenkt, dass jetzt die großen Parteien die kampierenden Aktivisten – auch gegen deren Willen – umarmen. Seit dem Atomausstieg im Frühjahr wissen wir, wie schnell und bereitwillig jahrzehntealte Glaubenssätze über Bord geworfen werden können, wenn nur ein paar Prozentpunkte in der Sonntagsumfrage damit gut gemacht werden. Der angenehme Nebeneffekt für die Politik: Vom eigenen Anteil an Schuldenkrise und Bankenmacht wird nicht mehr gesprochen. Doch wie kommt es, dass so viele von uns plötzlich wahlweise für die Zerschlagung, Verstaatlichung oder mindestens Regulierung von Banken votieren, und das ganze Finanzsystem als gierig, gefährlich und unberechenbar verdammen? Kurz zur Erinnerung: Die privaten Haushalte hierzulande besitzen 27 Millionen Wertpapierdepots. Die Hälfte des angelegten Vermögens in Höhe von 783 Milliarden Euro steckt in Investmentfonds. Jahrelang hat man selbst die satten Renditen eingefahren, die Wertpapiere, mitunter aber auch Leerverkäufe und Finanzwetten eingebracht haben. Jetzt schmelzen die Erträge, und das, was mir die Fondsmanager überweisen, zahle ich als Steuerzahler wieder für Rettungsschirme und Bankenstützung. Das Spiel funktioniert nicht mehr. Und was macht man dann? Man zieht sich wahlweise in den Schmollwinkel zurück und bunkert krisenfestes Edelmetall oder applaudiert den Protestierern. Eines ist dabei sicher: So schön wie früher wird’s nimmer mehr!

 Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter.

 

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5 Kommentare

  1. Alexander Rossner
    Alexander Rossner
    9. November 2011 zu 11:56
    | Antworten

    Sehr geehrter Herr Amrhein,

    um ehrlich zu sein, ich verstehe nicht, was Sie mit diesem Artikel sagen wollen.

    1) Pauschal zu behaupten, die Kapitalismuskritik sei verlogen, geht an der Tatsache vorbei, dass die negativen Auswirkungen des Kapitalismus namentlich in den letzten Jahren zugenommen haben. In der Konsequenz setzen sich heute deutlich mehr Menschen mit unserer ökonomischen Verfassung auseinander als noch vor einem Jahrzehnt.

    2) Eine Menge Menschen besitzen Geld und Wertpapiere. Das bleibt in einem kapitalistischen System nicht aus, da die Verfügbarkeit von Geld in diesem System als eine wesentliche Vorbedingung für ein "gutes Leben" angesehen wurde/wird. Wenn ich meine eigene Entwicklung ansehe, so habe ich diese Vorbedingung selbst viel zu lange nicht in Frage gestellt. Ich denke, das geht zahlreichen anderen Menschen auch so. Was sollen diese Menschen heute tun? Ihr Geld verschenken? Eine Verzichtserklärung abgeben? Ich halte es für an der Zeit, Alternativen hierzu aufzuzeigen, z.B. den Transfer des Geldes zu Nachhaltigkeitsbanken und ökologisch und sozial korrekten Geldanlagen.

    3) Die Tatsache, dass #Occupy auf breiter Basis Zuspruch erfährt, entwertet das damit verbundene Gedankengut keineswegs. Im Gegenteil ist es doch gerade die zentrale Aussage von Occupy, Forderungen aufzustellen, mit denen 99% der Bevölkerung übereinstimmen. Der Vorwurf, dass Occupy sich zum Mainstream entwickele, geht daher schon im Ansatz fehl.

    4) Der eigene Anteil, den jeder an den weltweiten Fehlentwicklungen hat, ist unbestritten. Er macht viele Menschen rat- und hilflos und lässt andere Ideen entwickeln, wie dieser eigene Anteil an den ökologischen, sozialen und ökonomischen Missständen reduziert werden kann. Auch das ist eine der zentralen Überlegungen von Occupy, wenn ich diese Bewegung richtig deute. Eines ist aber dennoch klar: Die Einbettung des Menschen in das als schädlich erkannte System ist so intensiv oder wird zumindest als so intensiv empfunden, dass die meisten Menschen wirtschaftlich gar keine andere Wahl zu haben glauben als die, "einfach mitzumachen".

    5) Ich denke, wir werden ereignisreiche und vielleicht sehr entscheidende Monate erleben. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diejenigen unter uns, die konkrete Vorstellungen von einem besseren ökonomischen und politischen System (und dem Übergang hierzu) haben, diese Ideen verbreiten und ihren Mitmenschen Mut machen, an dem notwendigen Wandel teilzuhaben. Das würde ich mir gerade auch von Enter sehr wünschen.

    Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

  2. Enter-Redaktion
    Enter-Redaktion
    11. November 2011 zu 11:34
    | Antworten

    Sehr geehrter Herr Rossner,

    vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. An mindestens einem Punkt haben wir uns offenbar missverstanden. Uns geht es nicht darum, die Occupy-Bewegung in irgendeiner Weise zu diffamieren. Sowohl im Heft (sieht Anderson-Interview, Fotostrecke etc.) als auch auf unserer Facebook-Seite haben wir das Entstehen der Bewegung sehr wohlwollend begleitet – schließlich ist es ja auch die ureigene Intention unseres Magazins, Teilhabe und Mitbestimmung zum Thema zu machen und nach vorne zu bringen.
    Die Kritik richtet sich an diejenigen, die gestern noch von spekulativen Bankpraktiken profitiert haben und quasi über Nacht zu Systemkritikern geworden sind. Das Thema Finanzwetten, Bonuszahlungen, Leerverkäufe sind nicht erst seit der Lehman-Pleite bekannte Phänomene. Ich unterstelle, dass vielen Leuten weitgehend egal war, wie sich ihr Geld vermehrte, solange die Rendite stimmte und das Gesamtsystem stabil war. Jedem Menschen muss zugestanden werden, dass er dazulernt und umdenkt. Das Argument hingegen "Wir haben von nichts gewusst" ist in höchstem Maße unglaubwürdig.

    Mit den besten Grüßen

    Henrik Flor

  3. Alexander Rossner
    Alexander Rossner
    11. November 2011 zu 17:17
    | Antworten

    Sehr geehrter Herr Flor,

    Danke für Ihre Replik. Vermutlich haben Sie Recht, dass sehr viele Menschen wissen, wie genau sich ihre Geldvermehrung ereignet. Viele Menschen wissen auch, unter welchen Bedingungen ihre Schokolade, iPhone oder Hemd entstehen und wann unsere Rohstoffe erschöpft sind. Es gilt, all diesem wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Unfug ein Ende zu bereiten und nun endlich unserem Wissen entsprechend zu handeln.

    Wenn wir das je schaffen wollen, brauchen wir eine breite Basis der Übereinstimmung. Mir ging es nur darum, darum nachzusuchen, möglichst das verbindende Element derer zu betonen, die sich nun am wirtschaftlichen und politischen System stören – und nicht das trennende Element.

    Viele Grüße aus dem Süden

    Alexander Rossner

  4. Markus
    Markus
    16. November 2011 zu 17:52
    | Antworten

    Ihre Kritik ist sehr berechtigt und leider ist es für alle viel einfacher die Schuld bei anderen als bei sich zu suchen. Es ist unsere, die persönliche Gier auch des kleinen Mannes, die dieses System Jahrzehntelang aufgebaut und gestützt hat, die uns hier hin gebracht hat. Es ist unsere Angst um den eigenen WOHLSTAND, die uns den Finger auf andere zeigen lässt. Es ist unethisch und verlogen aber deswegen nicht weniger richtig, etwas ändern zu wollen.

  5. Thomas Kolberg
    Thomas Kolberg
    2. Dezember 2012 zu 18:24
    | Antworten

    Ich frage mich ernsthaft, wer Sie hier sind und vor allem, wen genau Sie hier mit Ihrer Meinung vertreten. Uns die Bürger allemal ganz sicher nicht. Ihre Andeutungen sind auch inhaltlich voller Fehlannahmen.
    Die Verwobenheit von Politik und Finanzwirtschaft nutzen Sie als Erklärungserwägung, wir hätte stillschwiegend zugesehen? Informationsquellen holt man sich anders, Herr Amrhein. Die betrogenen Rentner sind nicht zum banker gelaufen und haben gebettelt "Machen Sie mir den grösstmöglichen Gewinn!" Sie sind schlicht betrogen worden von Finanzhaien, die dollargesstützt mithilfe einer firmeneigenen Ratingagentur in Deutschland etablierten Banken willige Kumpanen gefunden haben. Und heute werden die nicht vor Gericht gestellt, weil in den Aufsichtsräten Politiker sitzen, die Geldflüsse zu dringend notwenigen Spezialermittlern zudrehen. Klar, die würden dann ja gegen si selbst ermitteln. Einen korrupteren Staat wie Deutschland fällt mir grad kaum ein, Herr Anrheim. Und Sie wollen hier tatsächlich von Verlogenheit auf Seiten der Bürger sprechen? Schämen Sie sich!

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