Reportage: die Bankrebellen
Die kleinste Bank Deutschlands findet auf 25 Quadratmetern PVC-Boden Platz. Hier stehen der Kundentresen, der Tisch mit der Adler-Schreibmaschine, die alten Aktenschränke mit den Rollläden, die mechanische Rechenmaschine, der graue Ostertag-Geldschrank. Die beiden erst kürzlich angeschafften Computer wirken deplatziert.
Peter Breiter ist der einzige feste Mitarbeiter der Bank, ein sportlicher Enddreißiger im Wollpullover. Er bucht Überweisungen mit der elektrischen Kontierungsmaschine, als der nächste Kunde kommt. „Servus Willi, wie immer 300?“, fragt Breiter jovial, und ohne auf eine Antwort zu warten, redet er weiter: „Ich schau mal schnell ins Konto, ob sich ein Auszug lohnt.“
Das Ambiente verströmt den Behörden-Charme der Sechziger. Doch was hier täglich geschieht, ist das Gegenteil von bieder. Hinter den geklöppelten Gardinen der kleinsten Bank Deutschlands geht es nicht um Stil-, sondern um Systemkritik. Hier ist die Rebellion real, über die Bankenkritiker nur reden.
Die Raiffeisenbank Gammesfeld liegt im Niemandsland zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Der effiziente Ein-Mann-Betrieb regelt seit über 120 Jahren die Geldgeschäfte der 530 Dorfbewohner. Es ist die letzte unabhängige Dorfbank, die ganz nach der Ursprungsidee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen arbeitet. Das Geld bleibt im Dorf und wird von Menschen verwaltet, die jeder persönlich kennt, denen man vertraut.
Das Angebot der Kleinstbank be-schränkt sich auf Girokonto, Sparkonto und Kredit. Jeder bekommt hier dieselben Konditionen. Die Kreditzinsen liegen bei 3,5 Prozent, aufs Sparbuch gibt es 2 Prozent. Alle wichtigen Entscheidungen treffen die 270 Genossenschaftler aus dem Dorf. Sie wollen keine aufwendige Technik anschaffen. 50.000 Euro würde eine vollvernetzte Bank im Jahr kosten. Deshalb kommt die Schreibmaschine zum Einsatz, gibt es kein Online-Banking und auch keinen Geldautomaten. Für die einen ist Gammesfeld ein kurioses Biotop in Zeiten globaler Finanzströme, für die anderen ein Beispiel ehrlicher lokaler Geldverwaltung.
Raiffeisenblut in den Adern
Seit über 40 Jahren „schafft“ – oder besser: kämpft – hier Fritz Vogt, in der dritten Generation. Früher war er hauptamtlicher Vorstand, jetzt hilft er regelmäßig aus, beim Kontieren, Buchen, Ablegen. „In meinen Adern fließt Raiffeisenblut“, sagt er. Und er meint damit den Genossenschaftsgedanken in Reinkultur. Für den beinharten Systemkritiker bedeutet Kapitalismus schlicht Ausbeutung. Die Finanz- und Schuldenkrise sind für ihn die zwingenden Konsequenzen aus der Gier der Großbanken.
Vogt hat das Kunststück vollbracht, seine Bank und seine Ideale ins 21. Jahrhundert zu retten. Keiner Auseinandersetzung ist er dabei aus dem Weg gegangen. Mit Peter Breiter hat er 2008 einen Nachfolger gefunden, der zwar ein bisschen weniger rebellisch ist, aber genauso für die Raiffeisenidee lebt. Breiter arbeitete zuvor zwölf Jahre im nahen Rothenburg als Bankkaufmann. Heute braucht er keinen Anzug mehr für die Arbeit. Visitenkarten will er keine. Da müsste seine offizielle Funktion, „Geschäftsführender Vorstand“, draufstehen, und das käme dem einzigen Angestellten der Bank zu aufgeblasen vor. Von den Leuten im Dorf, sagt er, wisse er mehr als Bürgermeister und Pfarrer zusammen.
Die historische Einrichtung der Bank hat sich längst zum wichtigen Marketinginstrument für die rebellischen Botschaften entwickelt. Wenn ein Kamerateam kommt, dann wegen der antiquarischen Rechenmaschine und der Schreibmaschine. Für Vogt und Breiter die Gelegenheit, ihr ungetrübtes Genossenschaftsideal an den Mann zu bringen. Eine Masche, die zieht. Die Gammesfelder selbst machen wenig Aufhebens um ihre Bank. „Wir sind froh, dass wir selbstständig sind. So soll es bleiben“, meint die weißhaarige Frau, die auf ihr Fahrrad gestützt, die Dorfstraße entlangkommt.
Wenn Vogt aus den Kampfzeiten berichtet, müssen die Überweisungsaufträge warten. Der heute 80-Jährige mit den buschigen Augenbrauen und den wachen Augen erzählt leidenschaftlich von den nicht enden wollenden Auseinandersetzungen mit der Deutschen Zentral-Genossenschaftsbank (DZ) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). 1970 fingen die Volksbanken an, die kleinen Raiffeisenbanken zu schlucken. Der Druck auf die Unabhängigen stieg. Dazu zählt Vogt die Einführung des Vier-Augen-Prinzips für bestimmte Bankgeschäfte.
Für ihn war das nichts anderes als die Abwicklung kleiner Raiffeisenbanken durch die kalte Küche. Schließlich konnte sich kaum eine Dorfbank einen zweiten Mitarbeiter leisten. Vogt klagte, verlor in drei Instanzen, betrieb die Bank jahrelang ohne Genehmigung, zog vors Bundesverwaltungsgericht, riskierte eine Gefängnisstrafe von drei Jahren – und gewann schließlich. Bis 1990 zog sich das Verfahren. „Geordneten Widerstand“, nennt er das und grinst.
„Bei mir ist nie a Mark kaputtgegange“
Trotz der höchstrichterlichen Genehmigung, die Bank als Ein-Mann-Betrieb führen zu dürfen, gibt es bei jedem Vorstandswechsel Ärger mit der BaFin. Der neben- und der ehrenamtliche Vorstand der Bank sollen dann ihre Kompetenz in Sachen Bankgeschäft nachweisen. Für Vogt und seinen Nachfolger Breiter nichts als Zermürbungstaktik. „Störende Einheiten“ seien sie für die Großen. Gelingen konnten die Siege gegen die Finanzbürokratie nur mit der Rückendeckung des Dorfes. In den Mitgliederversammlungen verstanden die Dorfbewohner, was auf dem Spiel stand. Vor allem aber gilt hier noch ein Gesetz, das in der Finanzwirtschaft ganz und gar aus der Mode gekommen ist: Man vertraut sich. Und in den Zeiten, wo sich Banken und ganze Staaten im großen Stil verspekulieren, ist man hier froh über die „sichere Bank im Ort“. „Bei mir ist nie a Mark kaputtgegange“, schwört Vogt. Einen einzigen Kreditausfall gab es – und das war natürlich ein Zugereister. Willi Vogel, der betagte Nachbar von gegenüber, kommt auf einen Gehstock gestützt über die Dorfstraße. Für ihn war immer klar, dass er die Bank unterstützt: „Wir schaffen hier noch wie Raiffeisen, wollen keinen großen Gewinn erwirtschaften.“
Wer es mit der BaFin aufgenommen hat, der knickt auch beim Bankräuber nicht ein.
Die Vogt‘sche Beharrlichkeit bewährt sich auch in ganz anderen Kämpfen. 2006 passte ein bewaffneter Räuber Vogts Frau ab, schlug sie nieder und nahm später ihn als Geisel. In der Bank wollte ihn der Räuber zum Öffnen des Tresors zwingen. Vogt verhandelte anderthalb Stunden mit dem Gangster, bis dieser aufgab und verschwand. Das Geld seiner Kunden wollte er nicht hergeben. Wer es mit der DZ und der BaFin aufgenommen hat, der konnte nicht vor einem einfachen Gangster kapitulieren.
Die Raiffeisenbank Gammesfeld ist die letzte ihrer Art. Jahrelang hieß es auch für die Genossenschaftsbanken: fusionieren, Synergien erschließen, den Betrieb professionalisieren und optimieren. Von den 1.571 genossenschaftlich organisierten Banken, die es noch 1970 in Baden-Württemberg gab, sind 232 geblieben.
Die in Gammesfeld steht nicht im Verdacht, jemals „systemrelevant“ zu werden. Ihr gelingt etwas, woran die Marketingexperten der großen Banken regelmäßig scheitern: Vertrauen schaffen. Doch auch der Wall dieses gallischen Dorfes zeigt erste Risse. Hinter vorgehaltener Hand verrät eine Kundin, die gerade mit ihrem Geländewagen auf den Parkplatz der Bank rauscht: „Viele haben auch bei einer anderen Bank noch ein Konto. Da geht’s mit den Überweisungen ein bisschen schneller. Und als Selbstständige brauche ich das Online-Banking.“
An diesem Oktober-Tag schaut Fritz Vogt mal wieder rein, um Peter Breiter beim Buchen der Überweisungen zur Hand zu gehen. Und wenn wieder einmal ein Journalist etwas genauer wissen will, was es mit Deutschlands kleinster Bank auf sich hat, heißt es am Ende: „Heute gehen die Überweisungen nicht mehr raus!“
Text: Henrik Flor
Fotos: Thomas Geiger