Wir sind dann mal Schwein – ein Wochenende im Porkcamp

6. Oktober 2011

Wir essen Tiere, aber wir töten sie nicht. Koch und Bestseller-Autor Sebastian Dickhaut störte dieser Gegensatz. Auf einem Porkcamp in Brandenburg hat er selbst geschlachtet und das Fleisch verarbeitet. Hier seine Reportage.

Fotos: Daniela Haug

Wenn sich Nerds und Internet-Vermarkter, Dreh- und Kinderbuchautoren, Videoblogger und Werbefilmer, Weltreisende und Prenzlauer Bergfexe ein Januarwochenende lang auf einem Gutshof weit draußen auf der Brandenburger Eisplatte zusammenrotten – dann riecht das ziemlich nach dem nächsten großen Ding. Tatsächlich haben wir aber erst mal nur nach Schwein gerochen, als wir am Samstagabend halb tot in die Betten fielen. Nach Schmalzteig und Schlachtplatte, nach Speckschwarte und Schweinebacke. Aber wir fühlten uns sauwohl dabei. Denn ein Traum war Wirklichkeit geworden: Wir waren Porkcamp!

Was das ist? Fangen wir bei Florian Siepert an. Ein Mensch, der einen in Feuer und Flamme versetzen kann, was auch einer seiner Jobs ist bei einer Hamburger Internet-Agentur. Er selbst ist Feuer und Flamme fürs Kochen und Essen, vor allem Fleisch, vor allem Schwein, vor allem von guter Hand geschlachtet. Und könnte das, so hat er sich eines Tages bei seinem Lieblingsmetzger gefragt, nicht auch mal meine Hand sein, die da schlachtet? Und könnten das, hat er eine Weile später bei einer Web-Ideen-Konferenz die Leute gefragt, nicht auch noch die Hände von anderen Fleischfreaks sein, die sich übers Internet ihr eigenes Schlachtfest organisieren – Handwerk der Vielen, sozusagen?

Kaum war die Idee draußen, gab es auch schon eine Community-Seite dazu, auf der sich via Blogs, Twitter, Mailing und der guten alten Mund-zu-Mund-Propaganda mehr als 40 Leute fanden, die Lust auf so ein Porkcamp hatten. Man entdeckte das Gut Hesterberg in Brandenburg. Man reservierte sich dort fünf Schweine, die von der Schnauze bis zum Schwanz verarbeitet werden sollten. Man fand fünf Schweinekapitäne, die sich mit ihren Teams übers Netz auf das Bratwurst- und Blutwurstmachen, Porkpie-Backen, Porchetta-Grillen oder Ohrenkochen vorbereiteten.

Respekt war DAS Wort

Und dann war er da, der Tag X. Morgens kurz vor sieben sahen wir unser Schwein sterben, das dritte am Tag für die Pork-Pie-Gruppe. Es geschah in aller Ruhe, kein Schreien und Trampeln, als der Metzger ihm wie nebenbei die Elektrozange an den Hals setzte und es sich zu Boden legte, während das zweite Schwein neben ihm weiter neugierig am Gatter schnüffelte. „Keine Fotos bitte”, hieß es (fast jeder Porkcamper war mit 1-3 Kameras angereist), als das Tier am Kran aus dem Verschlag gehoben wurde, um ihm mit einem Stich in die Halsschlagader das Blut abzulassen, „aus Respekt.”

Respekt war eines der meistgebrauchten Worte an diesem Wochenende, wenn wir über unsere Gründe für die Teilnahme sprachen. Wir wollten sehen, was passieren muss, damit wir die Wurst auf unserem Brot haben. Wir wollten wissen, was dabei mit uns passiert. Wir wollten erleben, dass Schlachten ein Ritual ist und Fleisch ein wertvolles Gut. Und wir wollten’s hoffen, dass es uns danach noch schmeckt.

Denn deswegen waren wir vor allem hier: Um ein klein wenig das Metzgern zu lernen und dabei Leute wie uns kennen zu lernen, mit denen man gemeinsam kochen, genießen und darüber reden konnte. Dafür hatte Porkpie-Kapitän Marquee zwei Rezepte für die klassischen englischen Schweinefleischpasteten mitgebracht – eins für einen puren Melton Mowbray Pork Pie (der den Briten so heilig ist wie den Bayern der Leberkäs) mit Schmalzteig, ein zweites für eine mit Äpfeln veredelte Version mit Butterteig.

 

Vom Bäckchen zum Würstchen

Nachdem unser Schwein zerteilt, die Köpfe gepult (wir machten auch Sülze) und das Brät geknetet war, ging es in die Gutsküche. Da ließe sich jetzt viel erzählen: von den per Notmail noch kurz vor dem Camp organisierten Pastetenformen über die Entwicklung eines Back-and-Roll-Patents zum Auskleiden der Formen bis hin zur wunderbaren Über-Nacht-Verwandlung eines schon verloren geglaubten Pies („lasst uns den Teig abspritzen”) zu einem Showstar von höchsten Gnaden.

Aber eigentlich muss man es selbst erlebt haben. Nur so viel: Je weiter das Porkcamp wuchs, desto mehr stellte sich bei den Leuten ein beseeltes Strahlen ein. Weil wir Metzger kennen lernten, die mit großer Freude ihr Handwerk verrichteten und zeigten. Weil wir leidenschaftliche Amateure (auch die Profiköche unter uns waren keine Metzgerprofis) immer mehr Hand in Hand arbeiteten, ohne dass je Stress aufkam. Und weil wir Dinge aßen, die wir von Anfang an selbst gemacht hatten und die echte Kostbarkeiten waren: Toms Schweinebäckchen und  Ottos Niedrigtemperaturleberwurst,  Stevans saure Zipfel und Sebas’ Porchetta, Melicans Pannenschlag und unsere Pies, dem der britische Foodglobetrotter Simon spontan die Ehrendoktorwürde verlieh. (Ja, man trank auch Bier und Korn.)

 

 

 

Ist also Selberschlachten das nächste große Ding, passend zur Schrebergarten-Renaissance, der Essen-aus-nächster-Nähe-Bewegung und dem Fleisch-rockt-Trend? Es ist auf jeden Fall ein großes Ding, dass aus einer einzelnen Idee ganz viele Verrückte ganz rasch ein befeuerndes Wochenende gemacht haben, das so schnell keiner vergessen wird, das schon ein paar Tage später immer größere Wellen im Foodweb schlägt und das keine Food-PR-Agentur so je hinkriegen würde. Ich werde jedenfalls meine Wurst jetzt immer brav aufessen (wenn ich je wieder Wurst essen kann) und freue mich schon aufs nächste Camp. Was das wohl sein könnte?

Zum Autor: Sebastian Dickhaut ist einer der bekanntesten Foodjournalist und Kochbuchautor Deutschlands. Der ausgebildete Profikoch ist zudem Gründer des Gastro-Führers DelikatEssen und schreibt für Magazine wie Vanity Fair oder Myself. Er bloggt regelmäßig auf den Plattformen www.kuechengoetter.de und www.rettet-das-mittagessen.de. Mehr Infos: www.sebastian-dickhaut.de


                                                        

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Ein Kommentar

  1. raebiger
    raebiger
    6. Oktober 2011 zu 17:06
    | Antworten

    Musste als Kind die Blutschüssel rühren. Der obige Artikel beschreibt den natürlichen Vorgang. Hilfreich wäre das Live-Spektakel wahrscheinlich für Jugendliche, die sich mit Computerspielen die Zeit verballern. Sich den normalen Vorgang anzusehen, hilft eventuell den Fleischkonsum einzuschränken und bewusster mit der Natur umzugehen.

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