Wo war Wowereit?

14. September 2011

Drei Spitzenkandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters stellten sich den Berliner Bürgerplattformen – nur Klaus Wowereit vermied die direkte Konfrontation mit den Engagierten. Was passiert, wenn selbstbewusste Bürger auf Spitzenpolitiker treffen, illustriert der gestrige Abend, an dem Renate Künast in einer Weddinger Moschee ins Kreuzverhör genommen wurde. 

Der Weg zum Duell Bürger-Spitzenkandidat führte an diesem Abend über ein etwas heruntergekommenes  Treppenhaus in einem Gewerbekomplex in Berlin-Wedding. Im 4. Stock angekommen ging es durch die schwere Eingangstür in eine Moschee: vorbei an Schuhregalen und Waschräumen, einem kleinen arabischen Supermarkt, einem religiösen Buchladen bis hin zum Gebetsraum. Rund 200 Berliner aus allen Teilen der Welt haben sich hier versammelt. Fünf Tage vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl wollten sie keine Wahlkampfreden hören, sondern Tacheles mit den Spitzenkandidaten reden. Wer das Prinzip Community Organizing kennt, der wusste, dass dies keine normale Wahlkampfveranstaltung werden würde.

Community Organizing ist ein Modell, das aus den USA kommt und die Entwicklung vernachlässigter Stadtteile durch die Bürger vorantreiben will. Wichtigste Säule sind die Bürgerplattformen, unter denen sich Dutzende Einzelorganisationen wie Kirchengemeinden und Moscheevereine, Nachbarschafts-Initiativen, Schulen oder Jugendtreffs versammeln. Sie kennen sich bestens in ihrem Kiez aus, wissen genau, was falsch läuft, und wollen etwas verändern. Gemeinsam entwickeln sie Lösungen und sprechen auf Augenhöhe mit Politik und Verwaltung.

Nach Harald Wolf (Linke) und Frank Henkel (CDU) war an diesem Abend Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen) an der Reihe. Sie sollte auf konkrete Fragen, die die drei Berliner Bürgerplattformen erarbeitet hatten, konkrete Antworten liefern.

Da war zum Beispiel Ali Acikavak, der von Hartz IV lebt und die Miete für seine Wohnung nicht mehr aufbringen kann. Wenn er keinen neuen Vermieter findet, wird er in wenigen Wochen mit Frau und Sohn auf der Straße stehen. Er stellte Renate Künast die Frage: „Werden Sie sich für eine Neuregelung der Übernahme der Mietkosten durch die Jobcenter einsetzen?“ Sie hatte genau zwei Minuten Zeit, um die Frage zu beantworten.

Künast ist Polit-Profi genug, um sich nicht so schnell festnageln zu lassen. Sie holte zu einem Exkurs über die komplexe Finanzierung von Hartz IV durch Bund und Länder aus und widmete sich dann lieber der Frage, wie man Mietsteigerungen künftig begrenzen kann. Ali Acikavak ist damit noch nicht geholfen, aber es gab Szenenapplaus für Künasts leidenschaftlich vorgetragenes Plädoyer.

So oder so ähnlich lief es auch ab, als es um die Fahrplanabstimmung mit BVG und S-Bahn ging, den Ärztemangel in einzelnen Bezirken, die Entlastung von Lehrern oder das Stopfen der Haushaltslöcher. Obwohl Künast wenig Verbindliches zu entlocken war, war sie programmatisch nah am Publikum und ließ sich zu keinem Zeitpunkt aus der Ruhe bringen. Am Ende versprach sie zumindest, sollte sie die Wahl gewinnen, regelmäßig mit den Bürgerplattformen zusammenzuarbeiten und sich zwei Mal im Jahr mit ihnen zu treffen.

Nur einer der vier Berliner Spitzenkandidaten hat sich konsequent der Konfrontation mit dem Bürger verweigert: der regierende Bürgermeister. Erst ließ er zusammen mit Renate Künast die geplante gemeinsame Veranstaltung aller vier Kandidaten platzen, später dann auch das Einzeltreffen mit den Bürgerplattformen. Die Aktiven aus Wedding, Moabit, Neukölln und Treptow-Köpenick sind noch immer empört. Von den Bürgern, die sich dort für die Stadt einsetzen, wo es wirklich brennt, wird er am Sonntag kaum eine Stimme erhalten.

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