Projekt Ich! Ändern Sie das Naheliegendste

9. März 2011

Reue, Einkehr und Selbstaufopferung sind die Ideale der christlichen Fastenzeit, die gestern begonnen hat. Die vierzig Tage vor Ostern symbolisieren die Zeit, die Jesus in Wüste verbrachte, und den Versuchungen der Teufels widerstand. Aber was bedeuten diese Dinge heute? Teufel, Opfer, fasten?

Während einige Menschen angeblich auf Schokolade, Bier, Fritten oder Klatsch verzichten, nutzen andere die Zeit, um die Routinen des Alltags zu hinterfragen. Wie führe ich ein besseres Leben? Den eigenen Ansprüchen an einen verantwortungsvollen Umgang mit anderen Menschen und mit der Natur zu genügen ist oft schwer. Fasten könnte also bedeuten: Einkehr, Besinnung, Inventur. Wer sich engagiert und für andere einsetzt, vergisst manchmal die wichtigste Unternehmung: Das Projekt Ich. Enter berichtet in dieser Woche über Menschen, die sich solche gründlichen Fragen gestellt und ungewöhnliche Ideen entwickelt haben.

 

Prinzessinnen im Kartoffelbeet
Pflanzen Sie gemeinsam Gemüse – auch mitten in der Stadt

Gemüse anbauen mitten in der Stadt ist inzwischen ein weltweite Bewegung. Ursprünglich soll die Idee aus Kuba stammen, hat sich aber über die USA bis zu uns durchgesetzt. Mitten in Berlin-Kreuzberg gibt es zum Beispiel den “Prinessinnengarten”, 2009 gegründet von Robert Shaw und Marco Clausen, ein grüner Fleck in der Nähe des Moritzplatzes, in Mitten des Großstadtverkehrs, wo Leute aus der Nachbarschaft Bio-Gemüse anbauen. Das Besondere: Die Pflanzen stecken in Kisten, Säcken oder Getränkepackungen, der gesamte Garten ist mobil. Sobald das Gelände, das die Großstadtgärtner nutzen, wie geplant an einen Investor verkauft wird, ziehen auch Kartoffeln, Möhren und Kräuter mit um. Alle arbeiten und essen hier gemeinsam. Das Miteinander unterscheidet den Prinzessinnen- von einem Schrebergarten.

www.prinzessinnengarten.net

 

Null Euro
Kaufen Sie Nicht ein – einen ganzen Tag lang


Der “Buy Nothing Day” findet inzwischen jedes Jahr in Dutzenden Ländern statt. Die Idee: 24 Stunden lang kaufen die Teilnehmer rein gar nichts. Die konsumkritische Aktion gehört zu den Projekten der kanadischen “Adbusters”, die auch eine gleichnamige Zeitschrift herausgibt. In den Anfangsjahren ging es darin hauptsächlich um Werbung und ihre Wirkung auf den Kosum westlicher Gesellschaften. Heute beschäftigen sich die Macher auch mit internationaler Politik und sozialen Themen.

Eine weitere erfolgreiche Adbusters-Kampagne: die Digital Detox Week, eine Art digitale Diät. Sieben Tage lang verzichten die Teilnehmer auf elektronische Kommunikation mit dem Ziel, bewusster zu leben.

 

Die Antwort kennst nur Du
Stellen Sie sich selbst ungewöhnliche Fragen

Die beiden Schweizer Roman Tschäppeler und Mikael Krogerus haben das “Fragebuch” herausgegeben – eine Sammlung mit provozierenden, erheiternden und entlarvenden Fragen, die Sie sich stellen sollten. Und denen Sie sich stellen sollten. Das Fragebuch ist ein Notizbuch mit Platz für eigene Einträge. Woran glauben Sie? Wer glaubt an sie? Welcher Film hat Ihnen als Kind Angst bereitet? Was haben Sie von Ihrer Mutter gelernt? Haben Sie öfter jemanden verlassen als Sie verlassen wurden? Wie erklären Sie sich das? Ihre Antworten werden Sie überraschen.

 

Wegschmeißen
Besitzen Sie weniger Dinge

Kelly Sutton ist der Gründer der internationalen Minimalisten-Bewegung Cult of Less. Auf seiner Website listet er die wenigen Gegenstände auf, die er gerade besitzt. Sutton arbeitet für die Plattform blip.tv in New York und hat das weltweit größte von Studierenden betriebenen Blog, HackCollege, initiiert. Enter hat mit ihm gesprochen.

Wie viele Dinge besitzen Sie aktuell?
Mein ganzer Besitz passt in zwei Koffer und zwei Boxen. Das ist die ideale Menge, um zu reisen und wenn man umzieht. Und um Verlust oder Diebstahl muss ich mir auch keine Sorgen machen, weil die meisten Dinge, die ich besitze, digital sind.

Was ist der Reiz daran, mit wenigen Dingen auszukommen?
Der Reiz besteht darin, sich keine Gedanken über materiellen Besitz machen zu müssen. Es ist einfach viel weniger Stress. Und auch Reisen wird so viel einfacher. Ich habe gerade in Berlin auf der Transmediale einen Vortrag gehalten. Teil der Präsentation war, dass ich alles, was ich besitze, für das Wochenende in Berlin mitgebracht habe.

Hat dieser Cult of Less auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun?
Zu Beginn war Nachhaltigkeit nicht Teil meiner Motivation. Aber es ist natürlich ein Effekt dieses Minimalismus‘. Im Zentrum stand aber, dass der Besitz von vielen Dingen schlicht und einfach belastet. Letztlich ist es so viel einfacher nachhaltig zu leben, wenn man auch persönlich davon profitiert.

Alles begann mit einer Website. Was passierte dann?
Das Projekt startete als persönliche Initiative, und ich bin immer noch erstaunt, was für einen Nerv ich damit auf der ganzen Welt getroffen habe. Die weltweite Aufmerksamkeit in den letzten Monaten war unglaublich.

Haben Sie und Ihre Mitstreiter denn eine Chance gegen die allgegenwärtige Konsum-Orientierung?
Ich habe kein Problem mit Konsum. Ich bin ja selbst nach wie vor Konsument – allerdings inzwischen ein sehr bewusster. Ich kaufe nur noch Dinge, die ich wirklich brauche.

 

 

Es geht auch ohne Power

Verschmutzen Sie die Umwelt nicht mehr

“Ein New Yorker Gutmensch tut für ein Jahr das, was er immer predigt. Er dreht den Strom ab. Er produziert keinen Müll mehr. Er lässt das Fernsehen, das Taxifahren und das Pizzabestellen. Er verwandelt sich in einen spaziergehenden, fahraddfahrenden, kompostierenden, Bäume-umarmenden, Eisbär-schützenden Vorzeige-Bürger. Und dabei nimmt er auch seine kleine Tochter und seine einkaufssüchtige, fernsehabhängige und Kaffee-liebende Frau mit.”

Das ist die Zusammenfassung des Dokumentarfilms, der gerade über Colin Beavan erschienen ist, den “No Impact Man”. Der Amerikaner lebte ein Jahr lang so, dass er die Umwelt in keinster Weise belastete – und das mitten in Manhatten.

Das Projekt hat inzwischen viele Nachahmer gefunden, denen Beavan mit einer eigenen Initiative und auf seiner Seite (www.noimpactproject.org) mit Rat zur Seite steht. Wer dieses Leben selbst einmal eine Woche lang ausprobieren möchte, dem hilft die Seite mit einer ausführlichen Anleitung, die alle notwendigen Schritte Tag für Tag durchgeht.

 

 

Tiere essen

Lesen Sie Literatur, die die Welt ändert

Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer hat sich entschieden: Tote Tiere will er nicht mehr essen. Sein Buch ist keine Rechtfertigungsschrift, sondern versammelt in Interviewsequenzen, Undercover-Reportagen,  philosophischen Gedanken, literarischen Zitaten, und wissenschaftlichen Studien gute Gründe, um auf Fleisch zu verzichten. Das Ganze gelingt ohne erhobenen Zeigefinger und lange moralische Herleitungen. Buch lesen.

Kiepenheuer und Witsch, Gebunden, 400 Seiten,

19,95 EUR

 

 

Zeitmaschine

Lernen Sie etwas über Ihre Zukunft – im Theater

Wie werde ich in 20 Jahren leben, wie in 30 oder 40? Wie wird es mir gehen? Wie werde ich mich verändert haben? Diese Fragen stellte sich Dieter Scholz, als er 1979 in Köln das Altentheater gegründet hat. Die Stücke, die die 64 bis 93-jährigen Schauspieler aufführen, basieren auf den persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen der Schauspieler, die inzwischen schon international auf Tour waren.

www.fwt-koeln.de

 

 

Die Kinder-Künstler

Packen Sie einen Kunst-Koffer

Irgendwann klopfte eine Lehrerin au der nahen Grundschule an die Tür von Titus Grabs Atelier in Wiesbaden. Sie hatte vier Kinder mitgebracht, die Unruhe in ihre Klasse brachten, Schwierigkeiten beim Lernen hatten. Grab gab ihnen Mal- und Bastelmaterial und ließ sie einfach machen. Hochkonzentriert und leidenschaftlich legten die Kinder los. Heute sind Titus Grab und seine Mitstreiter in mehreren Städten unterwegs. Die Kunstkoffer, Handkoffer voll beladen mit Malutensilien, fahren feste Haltestellen in sozial schwachen Stadtteilen ab. Dort wird jede Woche zur selben Zeit unter freiem Himmel gemalt, gehämmert, getöpfert und gesägt.

www.kunst-koffer.org

 

 

Konsumkritik, die Spaß macht

Lernen Sie, die Welt zu verändern

Utopia ist eine Weltverbesserer-Community mit inzwischen über 50.000 Mitgliedern. Die gemeinsame Vision: der globale Turnaround. Wie das geht? Jeder kann das eigene Konsumverhalten und den Lebensstil in Richtung Nachhaltigkeit verändern. Auf der Online-Plattform finden Utopisten Infos über die grünsten Computer und nachhaltige Unternehmen, Bilder von Urlaubszielen ganz in der Nähe und andere Konsum-Tipps.

 

Enter stellte Martin Tillich, Redakteur bei Utopia.de, 5 Fragen:

Wie passen Verzicht und Lebenslust zusammen?

Das Wichtige ist, sich nicht eingeschränkt zu fühlen. Das funktioniert bei Dingen, die man sich gerade erst abgewöhnen möchte, eher schlechter. Der Kopf sagt „nein“, das körperliche Verlangen sagt „ja“. Wer plötzlich zum Vegetarier werden will, wird das Verlangen nach Fleisch nicht von einem auf den anderen Tag ablegen können. Dann muss man sich vor Augen halten: Ist es wirklich ein Verlust an Lebenslust, wenn ich mit meinem Konsum nicht mehr die Massentierhaltung unterstütze? Wer sich das klar macht, erlebt auf Dauer keinen Verzicht.

 

Wovon brauchen wir weniger – wenn wir mehr Nachhaltigkeit wollen?

Da gibt es vieles. Aber ich bleibe beim Thema und antworte konkret: Weniger Fleisch-Konsum wäre eine gute Sache.

 

 

Wovon brauchen wir mehr?

Mehr Menschen, die ihren Konsum politisieren, indem sie sich ganz bewusst für oder gegen bestimmte Firmen und deren Produkte entscheiden.

 

Worauf haben Sie heute schon verzichtet?

Unser gesamtes gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert ja nur mit persönlichen Einschränkungen. Theoretisch habe ich heute also schon auf vieles verzichtet.  Dinge, die ich gemacht oder konsumiert hätte, wenn ich nicht in Abhängigkeit einer Gesellschaft leben würde. Praktisch habe ich heute auf nichts verzichtet, weil wir zum Glück nicht ständig das Gefühl haben, gesellschaftlich eingeschränkt zu sein.

 

Worauf könnten Sie trotz aller Gewissensbisse nie verzichten?

Auch wenn sich das jetzt sehr asketisch anhört: Mir fällt wirklich keine Sache ein, die ich konsumiere und bei der ich ständig ein schlechtes Gewissen habe.

 

 

Bürgersteig-Uni

Studieren Sie Hip Hop – auf der Straße

Es ist der vielleicht ungewöhnlichste Bildungsabschluss, den man derzeit in Deutschland erwerben kann. Gio Di Sera, Berliner mit neapolitanischen Wurzeln, wollte denjenigen Jugendlichen eine Chance geben, die von allen anderen aufgegeben wurden. Sie werden in der StreetUniverCity Berlin in Politik und Geschichte fit gemacht und lernen alles über HipHop und Street Art. Wie heißt es auf der Website: “Es wird die Zeit kommen, da wird so mancher Berliner Unternehmer versuchen, den Street Master nachzuholen, um seine Biografie auf Vordermann zu bringen.”

www.streetunivercity.de/

 

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Ein Kommentar

  1. Frank
    Frank
    15. Oktober 2012 zu 08:40
    | Antworten

    Hallo,

    danke für die Vorstellung dieser tollen Projekte!

    Herzliche Grüße Frank

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