Allein gegen das Koma

10. Februar 2011

 Die Sportmoderatorin Monica Lierhaus rührte am Wochenende das ganze Land zu Tränen. Fast zwei Jahre nach ihrer Gehirnoperation und dem darauf folgenden Koma stand sie sichtlich verändert bei der Verleihung der Goldenen Kamera zum ersten Mal wieder auf einer Bühne, bedankte sich für die Unterstützung und hielt um die Hand ihres Freundes an.  Reha-Patienten wie sie verdanken ihre gute Versorgung vor allem einem Mann: Armin Nentwig. Nach dem Tod seines Sohnes mischte er die Politik auf und sorgte für eine Revolution der Versorgung von Schädel-Hirn-Verletzten und Wachkomapatienten in Deuschland. Wie schafft man das? Enter hat nachgefragt.

Rückblende 1988: Beim Skifahren in Österreich wird Armin Nentwigs Sohn Wolfgang von einer Lawine verschüttet und erst nach 50 Minuten befreit. Nach der Wiederbelebung lebt er fünf Monate im Wachkoma. Dann stirbt er. Nentwig, Abgeordneter des Bayerischen Landtags, lernt die katastrophale Versorgungslage von Komapatienten in Deutschland kennen. Obwohl er über beste Kontakte verfügt, kann er keine Unterbringung für seinen Sohn finden. Man empfiehlt Angehörigen, die Patienten doch einfach mit nach Hause zu nehmen, viele werden in Alten- und Behindertenheime abgeschoben. In ganz Deutschland stehen 1989 gerade einmal 25 adäquate Versorgungsbetten zur Verfügung. Und dies bei jährlich 40.000 neu zu versorgenden Patienten.

Die Lage im Jahr 2011 ist eine andere – und das ist ein Erfolg von Armin Nentwigs Verein „Schädel-Hirnpatienten in Not“. Die Organisation betreibt eine bundesweite Hotline, vernetzt Betroffene – vor allem aber macht sie Politik und Verwaltung Dampf. Im Enter-View erklärt Armin Nentwig, wie Lobbying für eine gute Sache funktioniert.

 

Herr Netwig, wenn Monica Lierhaus mit einer Goldenen Kamera geehrt wird – hilft das Ihrer Sache? Gibt es so etwas wie einen Lierhaus-Effekt oder ist das  nur ein kurzer Medienhype?

Das Thema Koma-Patienten ist ja immer wieder in den Medien präsent, nicht erst seit Monica Lierhaus. Einen wirklichen Effekt erkenne ich da nicht, aber sicherlich helfen Prominente, unser Anliegen bekannt zu machen. Reinhard Mey, dessen Sohn im Wachkoma liegt, ist beispielsweise Mitglied bei uns.

Was waren Ihre Erfahrungen, als Ihr Sohn im Koma lag?

Schlimm war das. Ich war damals vom Uni-Klinikum Innsbruck aufgefordert worden, meinen Sohn, der im Koma lag, über einen Luftröhrenschnitt beatmet und über eine Magensonde versorgt wurde, mit nach Deutschland zu nehmen, weil sie das Bett für neue Patienten brauchten. Ich dachte: ‚kein Problem‘ und habe angefangen, ein Krankenhaus zu suchen. In ganz Deutschland habe ich kein Krankenhausbett für meinen Sohn gefunden, und ich war damals Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Sogar die Minister haben sich für mich eingesetzt, aber auch die konnten nichts ausrichten. Ich habe eine Anfrage gestellt im Landtag. Ohne Ergebnis. Die Situation damals war unvorstellbar.

 

Resignieren oder kämpfen sind dann die Alternativen…

Für mich war das keine Frage. Ich bin ja ein sehr durchsetzungsstarker Mensch. Und dadurch, dass ich diesen Skandal öffentlich gemacht hatte, kontaktierten mich gleich mehrere Hundert Familien, die sich in derselben Situation befanden. So ist der Stein ins Rollen gekommen. Ich habe dann die Ärmel hochgekrempelt. Ich hatte den Vorteil, dass ich zehn Jahre vorher schon einen Rollstuhlfahrer- und  Behindertenclub gegründet hatte. Da haben wir meinen Heimatort umgekrempelt und behindertengerecht gestaltet. So wusste ich, wie man eine solide Verbandsgründung angeht. Was klein begann, ist heute ein Verband mit vier angestellten Mitarbeiterinnen, die nichts anderes machen, als zu beraten. Hier kommt jeden Tag ein Wäschesack Post an, dazu die Anrufe auf der Hotline…

 

Sie haben dafür gesorgt, dass der Gesetzgeber den Ausbau von Betten vorantreibt. Wie macht man Druck bei den Entscheidern?

Den Anfang machte ich in Bayern, da hatten wir den Vorteil, dass ich als Abgeordneter des Landtags das Thema auf die Agenda setzen konnte. Danach bin ich im nächsten Schritt auf die Landtagspräsidenten von NRW und Rheinland-Pfalz zugegangen und habe direkt in den Plenarsälen Treffen zwischen Politikern und Betroffenen organisiert. Die Säle platzten aus allen Nähten, viele Familien brachten ihren Angehörigen im Wachkoma mit. Und wenn Landesminister dort nicht antreten wollten, habe ich denen deutlich zu verstehen gegeben, dass dort eine Menge Presse sein wird, und es peinlich für sie werden könnte. Dort herrschte mitunter eine sehr aufgeheizte Stimmung, und ich musste sogar Minister vor aufgebrachten Angehörigen schützen, denen die Behandlung von Angehörigen versagt wurde. Das waren dramatische Szenen. Am Endekonnten wir aber eine Menge bewegen: Inzwischen haben wir in Deutschland flächendeckend eine solide Versorgung.

 

Was gehört zu den Erfolgsrezepten Ihres Lobbyings?

Ein wichtiges Erfolgsrezept: Wir haben immer alle Beteiligten mit in den Verband eingebunden: Ärzte, Pfleger, Wissenschaftler – die machen ein Drittel unserer 4.000 Mitglieder aus. Die haben erkannt, dass hier ein ganz neues Gebiet entsteht. Ich hatte auch immer Fachleute mit dabei, wenn ich zu Symposien ins Ministerium ging. Da waren wir fachlich optimal aufgestellt. Wir haben also die Kräfte gebündelt und wurden so zur Drehscheibe und zum Motor der neurologischen Rehabilitation in Deutschland. Was gar nicht funktioniert: Wenn Verbände nur anklagen und jammern. So erreicht man kein Ziel. Man muss pfiffig sein, man muss sich was einfallen lassen, Verbündete finden.

 

Ist es immer uneigennütziges Engagement, das man sich so ins Boot holt?

Auf keinen Fall – der Mensch ist ja egoistisch. Wir haben aber gesagt, dass wir auch Investoren ansprechen. Die suchen ja immer nach Nischen, nach neuen Ideen für Spezialkliniken. Die Unterstützer können mit sozialer, mit religiöser Motivation kommen, oder weil sie sich profilieren wollen oder einfach Geld verdienen. Es lohnt sich, genau nachzudenken: Wen kann ich für die Sache gewinnen? Zu wem passt das? Wer verspricht sich etwas davon?

 

Ist inzwischen alles Gold bei der Patientenversorgung?

Bestimmt nicht. Finanziell sind Wachkomapatienten und ihre Familien immer noch benachteiligt. Die Krankenkassen haben sich zum Teil aus der Verantwortung geschlichen und bezahlen nur noch das Nötigste. Viele Familien werden so nach wie vor zum Fall für das Sozialamt. Da muss sich dringend etwas ändern.

Wir setzen uns auch dafür ein, dass es mehr therapeutisch unterstütze Wohnmöglichkeiten für teilrehabilitierte Wachkomapatienten gibt. Die, die das große Glück hatten, aus dem Wachkoma herauszukommen, brauchen Betreuung – und vor allem eine Perspektive.

 

Henrik Flor, Sebastian Esser

Foto: Schädel-Hirnpatienten in Not e.V.

 

 

 

 

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2 Kommentare

  1. Schmidt
    Schmidt
    4. Juli 2013 zu 08:00
    | Antworten

    Ich habe ihren Bericht mit großem Interesse gelesen.
    Ich bin Krankenschwester und gedenke eine Wohneinrichtung für Koma Patienten zu eröffnen, daher bin ich sehr an Erfahrung Betroffener und neuesten Therapiemöglichkeiten interessiert. Gibt es Veröffentlichungen bezüglich ihrer Symposien?
    Vielen Dank

    Schmidt

  2. Dr. Gerd Hartmann
    Dr. Gerd Hartmann
    8. April 2014 zu 18:24
    | Antworten

    Meine Frau Margret Hartmann ist im Klinikum Bad Hersfeld nach einer Herz-Intubation mit Fentanyl in ein künstliches Koma gelegt worden und danach nach 17 Tagen künstlicher Beatmung verstorben.
    Jetzt ermiitelt die Staatsanwaltschaft. Was kann ich gegen die Korruption der wirksam unternehmen?

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